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Pas de deux

Pas de deux

Titel: Pas de deux Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippe Djian
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geschmettert.
     
    Am Morgen fand ich eine Schale mit Preiselbeeren auf dem Deck. Das reichte nicht aus, um meine Entscheidung herbeizuzwingen, aber die Chinesen sagen, Humor sei kostbarer als das Weiß der Lilie. Es war noch früh, auf dem Meer schwebte ein leichter Nebel. Man hatte Lust, sich hinzuknien, so rein war die Luft, so göttlich duftete sie. Ich war ein Stadtmensch. Ich war in einer Stadt geboren, hatte dort meine Kindheit und fast mein ganzes Leben verbracht, aber ich haßte sie mit jeder Faser. Ich wußte nicht, was mich eigentlich an sie gekettet hatte, außer daß ich einige Zeit gebraucht hatte, um dahinterzukommen, und daß ich nicht ganz allein war. Aber welchen Vorteil, welches Vergnügen, welche Ehre konnte es einem bieten, in Paris oder New York zu leben? War es das Gefühl, an etwas teilzuhaben, zu sein, wo man sein mußte? Welche Dummheit, welche Eitelkeit, welch widerlich-mickriger Menschenstuß!! Kurz und gut, ich hatte, was ich verdiente, aber mein Gott, was für ein Taumel, was für eine Freude erfaßte mich beim Anblick eines schlichten Bachs, eines menschenleeren Pfads oder eines harmlosen Apfels, der an einem Baum hing. Mein ganzes Leben lang hatte man mich auf irgendwelche Feste geschleppt, auf Ausstellungen, zu Treffpunkten, wo sich Leute versammelten, um zu reden, sich zu zeigen und zu gestikulieren, und zu guter Letzt war mir die Freude an meinen Mitmenschen vergangen. Aber ich sagte nichts, denn ich merkte nichts mehr. In meinem größten Verdruß räumte ich ein, daß man von diesem Leben wahrscheinlich nicht mehr erwarten konnte. Ah, erzählt mir mehr von dem Flair, dem Fieber, dem unwiderstehlichen Reiz der Hauptstädte! Versucht es doch, überzeugt mich, daß wir so oberflächlich, arrogant, bedauernswert und eitel sind, wie ich mir vorstelle. O kleiner lächerlicher Staub, sing mir noch einmal das Lied von der Poesie der Straßen, vom Zauber der Begegnungen und dem Wirbel, der dich erfaßt, sag schon, wie gut das alles ist, wie bereichernd, aufregend, unersetzlich, und ich reiß dir den Arsch auf und das Hirn raus. Speiübel wurde mir in den Straßen von Paris und New York und manch anderer Stadt, wenn ich an diese elende Farce dachte. Eher sterben als Paris verlassen? Pah! Na gut, verreck doch, du Hasenfuß!
    Hasen, die gab’s scharenweise, und sie guckten mir beim Frühstück zu, während sie sich um ihres kümmerten. Eine abrupte Bewegung, Besteck, das zu Boden fiel, all das störte sie nicht. Ich hatte sogar einen Waschbären, der meine Mülltonnen durchsuchte, und eines frühen Morgens hatten Oli und ich eine Hirschkuh erblickt. Blaue Eichelhäher und rote Kardinäle schmückten die Bäume. Als ich meinen Kaffee ausgetrunken hatte, fuhr ich in die Stadt, nicht ohne mich vorher umzuschauen, ob mein kauziger Freund irgendwo zu sehen war, aber am Horizont waren nicht mehr menschliche Wesen als Cholesterin in den Chips von Chatham.
    Neben einigen Vorräten und sechs Korbflaschen Wasser, die ich hinten in dem Kleintransporter verstaute, kaufte ich Millimeterpapier, ein Senklot, Kordel und ein doppeltes 10-m-Bandmaß, na ja, was sie in der Richtung hatten. Wieder zurück, stellte ich die Garage auf den Kopf, um alles verfügbare Werkzeug ans Tageslicht zu fördern, aber die Ausbeute erwies sich als recht mager. Ich fand Meryls Sachen, sorgfältig in Koffer verpackt, sie rochen verfault und standen zwischen einem Berg von Gerümpel, zwischen alten Bildern, kleinen Tischen, lauter Dinge, die wir damals aus dem Haus geschafft hatten und die in den letzten zwanzig Jahren niemand angerührt zu haben schien. Ein Sack war mit Spitzenschuhen vollgestopft, ein anderer mit Balletthosen, Wickelblusen, Trikots, Bändern und einem Stück Harz.
    Eine Schaufel, eine Hacke ohne Stiel, eine Handvoll Nägel in verschiedenen Größen und ein kleiner Hammer, das war alles, was Oli vorrätig hatte. Und noch eine Gardinenstange.
    Ich ging schwimmen. Als ich aus dem Wasser kam, sah ich ihn am Fuß der Treppe. Und im gleichen Moment trat ich auf eine Viper.
    Ich ließ mich in den Sand fallen und hielt mir das Bein. Ich spürte, wie mir das Gift in die Wade stieg und meine Ferse hart wurde. Das ging schnell und tat weh.
    »Pinkel drauf …« sagte er zu mir.
    »Wie bitte?«
    »Mmm … Das ist das einzige Mittel.«
    Ich versuchte die Zähne zusammenzubeißen, aber ich hatte höllische Schmerzen.
    »Verdammt noch mal! Sind Sie sicher?«
    »Und ob … Ich kenn nichts anderes.«
    »Ah, Herrgott, ich

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