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Pas de deux

Pas de deux

Titel: Pas de deux Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippe Djian
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glaub’s nicht!!«
    »Dann sieh zu, wie du klarkommst.«
    »Nein, nein … Aah, das sticht bis in den Oberschenkel! Ich wollte sagen, ich kann nicht fassen, daß mir so was passiert!«
    »Tja, ob du’s fassen kannst oder nicht, ändert nicht viel.«
    Ich fluchte leise vor mich hin. Andererseits litt ich solche Qualen, daß ich auch zu niederen Handlungen bereit war, wenn mir dadurch eine noch so geringe Atempause vergönnt war. Ich warf ihm einen beredten Blick zu und legte meine Hand an den Reißverschluß. Jeder andere hätte verstanden, daß ich ein Mindestmaß an Taktgefühl von ihm erwartete, daß er wenigstens so tun konnte, als schaue er weg, aber nein, er rührte sich nicht vom Fleck, er zuckte nicht einmal mit der Wimper.
    »Na schön! Auf geht’s!« seufzte ich.
    Wie man sich denken kann, war das keine Lappalie, mir die Ferse zu bespritzen. Ich war weder in der Haltung noch in der geistigen Verfassung, Wunder zu vollbringen, und daß mir jemand dabei zusah, machte mich nervös und ziemlich ungeschickt. Gleichwohl, als ich mein Werk vollbracht hatte, war mir, als erntete ich sogleich die Früchte meiner Anstrengungen. Eine wahre Erleichterung – die ich nicht mit der meiner Blase verwechselte – erfaßte mein Bein. Mein Fuß war geschwollen, rotweiß gefleckt, aber ich hatte das Gefühl, als gehöre er nicht mehr zu meinem Körper, als würden die Botschaften, die er mir übermittelte, immer schwächer und konfuser. Ich bedachte meinen Begleiter mit einem dämlichen Grinsen.
    Daraufhin, ohne daß ich ihn um etwas gebeten hatte, packte er mich unter den Achseln und zog mich in die Höhe.
    »Hoppla! Heee!!« protestierte ich flapsig, gleichermaßen überrascht und leicht verunsichert, wie ein Behinderter, den man aus seinem Rollstuhl hebt. Denn meinen Fuß auf die Erde zu setzen, davon konnte nicht die Rede sein, ich konnte es nicht, wünschte es nicht.
    »Was ist los?«
    »Ah, bloß nicht! Menschenskind, wo zum Teufel soll ich denn so hingehen?!«
    Ich hatte nicht den Eindruck, daß er eine Sekunde nachdachte.
    »Ich nehm dich auf den Rücken«, erklärte er.
    »Also hören Sie!!« griente ich.
    »Na gut … dann bleibst du eben da.«
    Um die Wahrheit zu sagen, war das auch keine berauschende Aussicht. Ich kniff die Augen zusammen und betrachtete die Treppe. Persönlich hätte ich es mir zweimal überlegt, bevor ich dem leichtesten Kind der Erde eine solche Kletterpartie angeboten hätte.
    »Meine Mutter wog knapp zweihundert Pfund …« fügte er hinzu. »Mein Wagen war kaputt, und unser Telefon war abgestellt. Und obendrein war es Nacht. Ich hab sie geschlagene vier Stunden durch die Landschaft getragen. Und als wir im Krankenhaus ankamen, hieß es, es war kein Platz da, also hab ich sie auf meinen Armen gehalten, bis sie ein Bett aufgetrieben hatten, und glaub mir, beeilt haben die sich nicht!«
    Mir wäre lieb gewesen, er hätte mir ein wenig Zeit gelassen, mir die Sache zu überlegen, aber der Kerl hatte einen ausgesprochenen Tatendrang.
    »Also … Was ist, ja oder nein?«
    Wir schauten uns in die Augen.
    »Das ist Wahnsinn …« warnte ich ihn.
    Dann klammerte ich mich an seinen Rücken.
    »Ich heiße Finn«, verriet er mir und packte sich eins meiner Beine.
    »Und ich Henri-John«, antwortete ich und reichte ihm das andere.
    Als er sich dann aufrichtete und wir dem Felsen reglos einen letzten Blick schenkten, sprach ich meine womöglich letzten Worte: »Herrgott, Finn … Du bist selbst schuld!«
     
    Ich hüpfte auf einem Bein zum Kühlschrank, um zwei Bud Light zu holen, aber als ich zurückkam, war er verschwunden. Ich setzte mich in den Schatten und vergnügte mich mit einem Stück Schnur, ich machte Hundebeine, doppelte Achten und andere noch seltsamere Knoten. Meist achtete ich nicht darauf, und diese harmlose Beschäftigung vermochte mich zu entspannen und meinen Geist zu besänftigen, auch wenn mir das von Edith oder Evelyne zuweilen einige gereizte Kommentare einbrachte, auf die ich nicht reagierte. Von Zeit zu Zeit jedoch untersuchte ich diese Knoten mit größtem Interesse. Bei einigen, die unauflösbar schienen, brauchte man nur an beiden Enden zu ziehen, schon verschwanden sie. Andere hingegen waren wie verlötet, sie zogen sich immer weiter zusammen und ließen sich überhaupt nicht mehr aufmachen. Es waren absurde darunter, geheimnisvolle, schreckliche, aber auch großartige, wahnwitzige, glanzvolle von einer Perfektion und Erhabenheit, die einem den Atem verschlug. Bei nicht

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