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Pas de deux

Pas de deux

Titel: Pas de deux Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippe Djian
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Rechenschaft schuldig. Ich hätte ihn zum Teufel gejagt, wenn er irgendwelche Fragen gestellt hätte, aber schließlich hat er sich auch ein Buch genommen. Es war zum Totlachen.
    Als wir jünger waren, haben wir uns besser verstanden. Jetzt ist das anders, wir schaffen es nicht mehr, wie früher miteinander zu reden, und wenn doch, dann ist das ein wahres Wunder. Der Beweis dafür: Keiner von uns hat einen Ton gesagt. Ich behaupte nicht, daß das allein seine Schuld ist, aber er tut nichts, um die Sache einzurenken. Ich weiß nicht einmal, ob er es merkt. Letztens hat er mir an den Kopf geworfen, ich hätte sie nicht alle auf der Reihe. Er sollte sich mal an die eigene Nase fassen.

Die anderen sind für zwei Tage nach Lüttich gefahren. Anscheinend hat Béjart, ihr Guru, den ›Orpheus‹ für das Festival inszeniert. Ich frage mich, ob ich nicht besser mitgefahren wäre. Henri-John sitzt wahrscheinlich vor dem Fernseher, und Alice steht in der Küche und kocht für uns. Ich habe keinen Hunger, mir wird schlecht, wenn ich nur an Essen denke. Noch ein Beispiel: Früher wäre er raufgekommen, um zu sehen, was mir fehlt. Nun gut, ich habe ihm ohnehin nichts zu sagen, aber er soll mir bloß keine Ammenmärchen erzählen, das ist alles, worum ich ihn bitte. Ihm will einfach nicht in den Kopf, daß ich nicht seine Schwester bin.
     
    15. Februar 1958
    Ich habe mir noch einmal durchgelesen, was ich zuletzt geschrieben habe. Tatsächlich ist das kein Tag, der mir groß in Erinnerung bleiben wird. Ich weiß nicht, was eigentlich in mich gefahren war. Ich bin nicht in Bob verliebt oder sonstwas, und trotzdem war ich es, die ihn wollte, also, was beklage ich mich dann? Ich führe dieses Tagebuch seit über einem Jahr, und zum erstenmal kann ich nicht erklären, was ich empfinde. Das gefällt mir nicht besonders, aber ich meine es ernst. Nicht, daß es mir wirklich leid tut, das nicht, ich verstehe nur nicht, warum ich es getan habe. Das kann ja heiter werden, wenn mir mit fünfzehn schon der Kopf schwirrt.
    Heute morgen hat mir Bob während des Unterrichts pausenlos ins Ohr geflüstert. »Ich dachte, ich wär diejenige, die mehr wollte …!« habe ich ihm gesagt. Er wollte unbedingt, daß wir es so bald wie möglich wieder tun. Mal sehen, habe ich ihm geantwortet. Papa hat sich aufgeregt. Er hat ihn gewarnt, wenn er nur komme, um zu schwätzen, fliege er raus, denn er störe alle andern. Und Bob hat einen solchen Schiß vor meinem Vater, daß er sich nicht mal mehr getraut hat, mich anzusehen.
    Ich finde, seit dem 12. Februar 1958 ist er eine richtige Klette. Noch genauso schön, finde ich, aber eine Klette. Dabei gibt es andere, die sind ganz weg, wenn sie nur seinen Namen hören. Da braucht man nicht lang zu suchen. Myriam und Flo, die fast zwei Jahre älter sind als ich, brauchen ihn nur anzusehen, schon schieben sie sich die Hand zwischen die Beine. Und wenn wir noch so gute Freundinnen sind, er brauchte nur mit den Fingern zu schnippen, ich bin nicht blöd. Ich glaube, wir Mädchen sind so, die Freundschaft ist es nicht, die uns am Leben hält, na ja, sie ist jedenfalls nicht das Wichtigste, wir brauchen mehr.
    Trotzdem, ich habe mich noch nicht entschieden. Ich weiß, nur, daß er sich gedulden muß, wenn er es so sehr will. Ich habe es nicht eilig. So toll, wie ich das gefunden habe, da muß man mich schon ziemlich ermuntern.
    Ich hänge seit drei Tagen nur noch herum. Ich habe zu nichts Lust. Zur Zeit läuft von morgens bis abends das Radio, wegen der Ereignisse in Algerien. Das macht mich bekloppt. Wenn man den Mund aufmacht, ist ständig einer da, der einem sagt, man soll die Klappe halten. Reizend. Alice ist gestern nach Swansea in Wales gefahren. Ihr Bruder ist gestorben. Ich dachte, wir hätten ein paar Tage Ruhe, aber wir müssen ›Madame Bovary‹ lesen, bis sie zurückkommt. Ich habe noch nie so etwas Beschissenes gelesen. Ich muß mir zwischendurch einige Passagen von ›L’Attrape-cœur‹ genehmigen, damit ich es überhaupt aushalte. Manchmal habe ich den Eindruck, wir halten uns an der Hand, Holden Caulfield und ich. Es gibt wirklich Typen, denen müßte man Denkmäler errichten oder ganze Kirchen.
     
    20. Februar 1958
    Die letzte Neuigkeit: Wir fahren nach Rußland. Das ist mal ’ne Abwechslung. Papa hat es uns vor zwei Tagen mitgeteilt. Keine Ahnung, wie er das hingekriegt hat, aber die Sache steht fest. Wir freuen uns alle darauf. Wir werden ein paar Tage in Leningrad verbringen. Und eines weiß hier

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