Pas de deux
jeder, weil es uns Papa hundertmal gesagt hat: Leningrad ist die Heimatstadt von Balanchine. Es freut uns, das zu hören.
Alice hat deswegen das Programm geändert. Wir machen Dostojewskij. Der ist nicht der Schlechteste von allen. Ich habe schon eine Schwäche für Mitja. Sie hat eine Kiste voller Bücher mitgebracht und unsere Englischstunden verdoppelt. Wir werden noch richtig intelligent, wenn das so weitergeht. Elisabeth und Papa lesen ihr jeden Wunsch von den Augen ab. Es gibt Augenblicke, da schnurrt das ganze Haus, möchte man meinen. Man muß mit allem rechnen.
So wie vorgestern. Ich habe es nicht sofort aufgeschrieben, weil wir spät ins Bett gegangen sind, und ich war hundemüde. Folgendes Ding ist passiert, und ich kann’s immer noch nicht fassen:
Oli hat also die Grippe, er liegt seit zwei Tagen flach. Tagsüber schauen wir nur kurz bei ihm rein, aber abends muß man mit ihm Karten spielen oder irgendeinen Stuß in der Art. Kurz und gut, ich komm rein, und Henri-John ist da. Na gut, wir fangen an Karten zu spielen, bis dahin ist alles normal. Sicher, wir haben zwar keinen Krach mehr, Henri-John und ich, aber da war dieser Abend des 12. Februar 1958, und seitdem wirkt er auf mich ein wenig verletzt. Es scheint ihm keine Ruhe zu lassen, was ich wohl mit Bob gemacht habe. Mehr als einmal schaut er mich ganz komisch an. Na ja, das hindert ihn aber nicht daran, Karten zu spielen. Und das zieht sich in die Länge. Ich gähne. Wir verleben keinen angenehmen oder unangenehmen Moment. Wir sind einfach zu dritt, und das ist nichts Neues für uns.
Bis dahin hält sich jeder gut. Gegen Mitternacht macht Oli schlapp. Ich räume die Karten weg. Das ganze Haus schläft ein. Ich stehe auf, aber Henri-John bietet mir eine Zigarette an. Ich setze mich wieder. Wir rauchen und schweigen. Man hört den Wind draußen und Olis Atemzüge. Und plötzlich fangen wir an zu reden, ein Ding, kaum zu glauben. Und das geht so leicht, daß ich mit offenen Augen träume. Ich weiß nicht, was mit uns los ist. Ich weiß nicht einmal, wer angefangen hat. Es ist lange her, daß ich mich so wohl gefühlt habe. Wir erzählen uns alles mögliche, alles, was uns durch den Kopf geht. Ich kann nicht begreifen, warum wir uns nicht besser verstehen, warum das nicht immer so ist. Das ist doch gar nicht so schwer.
Wir haben mit zunehmendem Alter nichts gewonnen. Ich hoffe, das kommt wieder in Ordnung. Na schön. Wir sitzen da, und es ist, als trüge uns ein schwacher Strom davon. Wir quatschen, und wir haben vergessen, wo wir sind. Ich muß mich zusammennehmen, daß ich ihm nicht sage, was ich mit Bob getan habe. Ich habe nicht den Eindruck, daß ihm das gefallen würde. Aber es juckt mich, ich habe keine Lust, die Sache wie ein Geheimnis für mich zu behalten, ich möchte es loswerden. Ich beiße mir auf die Lippen. Ich presse die Knie an meine Brust, und da merke ich, daß er einen kurzen Blick zwischen meine Beine wirft.
Tja, und was tue ich? Ich tue, als ob nichts wäre, und spreize sie ein wenig, um zu sehen, was dabei rauskommt. Ich denke an die Sachen, die wir zusammen gemacht haben. Ich sehe ihn noch, wie er früher zwischen meinen Beinen kniete und meine Spalte mit einem Lineal abmaß. Und danach kam er an die Reihe. Jetzt hat jede Kleinigkeit wer weiß was für eine Bedeutung. Ich find das nicht schlimm, aber komisch ist es schon, wenn man darüber nachdenkt. Kurz und gut, die Stimmung ist ein wenig undurchsichtig. Ich finde das eher angenehm. Wenn Myriam mal nicht nach Bob schielt, nervt sie mich mit Henri-John. Der Schweinehund hat Charme, das muß man ihm lassen. Ich schaue ihn an, während er mir irgendein Zeug erzählt. Ich würde mich gern in seine Arme schmiegen und mich nicht mehr rühren. Früher haben wir das gemacht. Da waren wir nicht so bekloppt. Wenn uns etwas gefiel, haben wir uns keinen Zwang angetan.
Klar, ihm steht der Sinn nicht nur danach, mich in den Armen zu halten. Und das kann ich nur zu gut verstehen. Ich sage mir, am besten haue ich auf der Stelle ab. Ich freue mich wirklich über diesen Augenblick, den wir zusammen erlebt haben, wahrscheinlich kann er sich gar nicht vorstellen, wie glücklich ich bin. Aber ich bleibe und spanne den Bogen weiter, auf die Gefahr hin, alles kaputtzumachen. Ich bin wirklich geschickt, wenn ich einmal anfange.
Man kann nicht im rechten Moment aufhören. Ich sage mir: Ich will nur, daß er die Hand nach mir ausstreckt, daß er mich berührt, mehr will ich nicht, dann verziehe
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