Pas de deux
handeln schon immer von Tanz oder Jazz oder von der irischen Revolution. Sein Vater gehörte zu den Freiwilligen, und wir wissen einfach alles über die Osterrevolte. Na ja, ich muß zugeben, er erzählt das ganz gut, und es hat auch noch niemand versucht, ihn zu unterbrechen, wenn er in Fahrt ist. Er schlägt einen in seinen Bann, er ist wie verklärt. Ich falle jedesmal auf ihn herein, obwohl ich solche Erzählungen nicht gerade toll finde. Er läßt sich ohnehin keine Gelegenheit entgehen. Aber diesmal hätten wir Mühe gehabt, ihn zu unterbrechen. Was sieht er, als er Corinne auf ihr Bett legt? Die ›Dubliners‹! Mehr brauchte es nicht, um ihm die Tränen in die Augen zu treiben. Corinne ist aber auch eine kleine Arschkriecherin.
Mein Handgelenk ist Matsch. Ich weiß nicht, wie die das gemacht haben, Dostojewskij und die andern. Vielleicht haben sie mit zwei Händen geschrieben. Ich bin im Bett. Es ist spät, aber ich bin nicht müde. Es gefällt mir, all diese Dinge aufzuschreiben, ich habe das Gefühl, ich könnte endlos weitermachen, wenn ich wollte. Leider muß ich noch was für Alice machen, eine dieser typischen saublöden Sachen, da hat sie ein Talent für. Diesmal sollen wir einen Vers von Whitman kommentieren, das ist ihr Liebling. »Sure as the stars return again after they merge in the light, death is great as life.« Meinetwegen. Ich hoffe es sogar.
Zwei Sachen noch, bevor ich damit anfange. Ich habe heute meine Tage bekommen, und das hat mich ausnahmsweise richtig gefreut. Das wäre das eine. Das andere ist: Bob hat Flo erzählt, daß er mit mir gebumst hat. Ich weiß noch nicht, wie ich ihm das heimzahlen werde, aber ich werde schon etwas finden. Fürs erste wird er mich jedenfalls nicht mehr anrühren, ich werde ihn in seinem Saft schmoren lassen. Mir käme es nicht in den Sinn, so etwas rauszuposaunen, solche Dinge sind mir doch zu intim. Flo hat nicht verstanden, warum ich nicht darüber sprechen wollte. Ich habe ihr gesagt, wenn sie Einzelheiten wissen wolle, brauche sie nur Bob zu fragen. Flo ist eine, die unter dem Tisch masturbiert, wenn von Jungen die Rede ist, da sie aber Angst hat, mit einem zu schlafen, berauscht sie sich an den Geschichten anderer. Man kann ihr nie genug erzählen, sie will alles haarklein wissen. Ich behaupte ja nicht, daß man sich nicht von Zeit zu Zeit darüber unterhalten kann. Man kann immer etwas lernen. Aber ich brauche ihr nicht alles zu erzählen. Daß sie so geil ist, stört mich dabei weniger. Es passiert mir auch, daß mein Schlüpfer naß wird, wenn ich an solche Sachen denke. Nein, mich stört, daß sie ihre Nase in meine Angelegenheiten steckt. Und über den 12. Februar 1958 wollte ich mit niemandem reden. Außerdem gibt es da nichts zu sagen. Das ist nicht wie Lady Chatterly. Ich finde, das ist wirklich zu intim. Ob ihr das jetzt gefällt oder nicht, es ist nun mal so.
Eines Morgens hätte ich mir fast das Genick gebrochen, als ich von einer Schaukel fiel. Sicher, aus dem Alter war ich heraus, und wahrscheinlich war das auch der Grund, warum mir dieses blöde Mißgeschick passierte. Das war der erste schöne Frühlingstag in diesem Jahr. Die Luft und das Licht machten einen rammdösig, man hatte Lust zu hüpfen oder was weiß ich, sich an die Äste zu klammern oder im Gras zu wälzen. Und im Garten waren zwei Schaukeln, mit denen wir uns schon ewig nicht mehr vergnügt hatten. Ich sprang auf eine von ihnen und holte Schwung. Wir waren fast alle draußen, hatten Bänke und Stühle rausgebracht, und die jungen Lindenblätter erzitterten unter meinem Gewicht. Ich weiß nicht, was ich plötzlich gemacht habe, jedenfalls flog ich durch die Luft und landete auf dem Rücken.
Die Wucht des Aufpralls verschlug mir den Atem. Später erzählte man mir, ich sei blau angelaufen und hätte eine ganze Weile reglos auf der Erde gelegen, so daß meine Mutter fast in Ohnmacht gefallen wäre. Ich kann mich nur daran erinnern, daß sie mir unter dem Vorwand, ich wolle sie umbringen, eine Ohrfeige gab, als sie merkte, daß ich nicht tot war. Damals verstand ich diese Art, mir ihre Liebe zu bekunden, noch nicht. Für mich bestand kein Zweifel, daß ich ihr eine Last war.
Als ich mich endlich aufrappelte, hatte ich rote Backen und einen steifen Rücken und die Augen auf den Rasen gerichtet. Jérémie war Fachmann für Dehnungen, Verstauchungen und Zerrungen aller Art. Alle begaben sich regelmäßig in seine Hände, nutzten sogar seine Nettigkeit aus und bettelten um
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