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Pas de deux

Pas de deux

Titel: Pas de deux Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippe Djian
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Ich hatte keine Ahnung, warum sie in dieser Aufmachung einherging, aber merkwürdig fand ich das nicht. Ihr Gesicht, ihre altmodischen Frisuren, die Sanftheit ihrer Bewegungen paßten so gut zu ihrem Aufzug, daß niemand sie in Bluejeans hätte sehen wollen. Sie war eben so, sie war Ramona. Abends schlüpfte sie in unglaubliche duftig-zarte Nachthemden, über die sie, nur um über den Flur zu gehen, Negligés aus reiner Seide zog. Ihre ganze Knete mußte dafür draufgehen. Ihr Zimmer war das geheimnisvollste im ganzen Haus. An den Wänden waren Behänge, Drapierungen, Borten, ihr Frisiertisch war mit Flacons, winzigen Töpfchen, Puderquasten und Schmuckstücken übersät, das Kopfende ihres Betts war gepolstert, die Stühle mit Tüchern und Stolen behängt, und nichts war aufgeräumt, aber es lag auch nichts einfach herum, und wenn sie sich hinlegte, ließ sie nur eine kleine Lampe mit einem Glasperlenschirm und einer 25-Watt-Birne brennen, die einen in ein ruhiges und prunkvolles Ambiente versetzte, in dem einem ihr Parfüm den Rest gab. Allerdings sah sie uns nicht besonders gern in ihrem Zimmer, und es kam selten vor, daß sie uns nach Einbruch der Dunkelheit dorthin einlud. Auch wenn ich ihr Liebling war – bei ihr ein und aus gehen, wie ich wollte, kam nicht in Frage.
    Ich überlegte, was sie wohl von mir wollte, als sie die Tür zumachte. Sie setzte sich an ihren Frisiertisch und bürstete sich das Haar. Sie sagte, ich solle mich setzen, sie brauche noch einen Moment. Ich hatte nicht allzuoft Gelegenheit, sie mit offenen Haaren zu sehen, und ich war immer wieder überrascht, wie lang und füllig sie waren. Ich schnappte mir eine Nummer von Marie France und legte mich lässig quer auf ihr Bett, um, keineswegs allzu gespannt, was sie mir zu sagen hatte, darauf zu warten, daß ich an die Reihe kam. Sollte sie sich ruhig Zeit lassen, ich hatte es nicht eilig. Ich mochte die Atmosphäre, die in diesem Zimmer herrschte, und ich wäre begeistert gewesen, wenn sie mich vergessen oder plötzlich Knoten in ihren Haaren entdeckt hätte und die Zeit verstrichen wäre.
    Das dauerte immerhin gut zehn Minuten. Das war mehr, als ich hoffen durfte, und ich dachte gar nicht daran, mich zu beklagen, aber allmählich fragte ich mich, was sie da mit ihren Haaren anstellte und ob sie sich noch erinnerte, daß ich da war. Sie schien in Gedanken versunken. Die Bürste ging immer noch auf und ab, aber so langsam, daß man nichts mehr hörte. Ich hatte den Eindruck, sie betrachtete sich im Spiegel. Ich war mir nicht sicher. Wenn die Vorhänge zugezogen waren, war dieses Zimmer wie ein Schmuckkästchen. Niemand hatte Lust, es zu verlassen. Niemand wäre das Risiko eingegangen, rauszufliegen, weil man Ungeduld zeigte.
    Schließlich wandte sie sich lächelnd um. Ich klappte die Zeitschrift zu. Und da sie nicht aufhörte, mich anzuschauen, sagte ich zu ihr: »Stimmt etwas nicht?«
    Ich dachte an meine Aura oder etwas in der Richtung. Sie hatte mich gelehrt, meine sei aprikosenfarben und erblasse, wenn ich krank würde oder etwas nicht in Ordnung sei. Ich fürchtete, die Ereignisse des Tages hätten sie glatt olivgrün anlaufen lassen. Als wir kleiner waren, hatten mir diese Geschichten viel Spaß gemacht. Wir hatten uns oft gefragt, was für eine Farbe die Leute hatten, und manchmal, wenn wir uns lang genug konzentriert und Fratzen geschnitten hatten, kam es uns vor, als könnten wir einige erkennen. In diesem Augenblick fand ich das eher störend.
    Statt mir zu antworten, stand sie auf und setzte sich zu mir. Ich war durchaus in der Stimmung, ein wenig zu quatschen, wenn ihr danach war, allerdings unter der Bedingung, daß wir gewisse Themen mieden. Mich und meine Probleme vor allem. Sie schob den Kimono von ihren Schultern. Ich dachte, sie wolle sich ins Bett legen, es sich bequem machen. Sie hatte nicht bemerkt, daß ihr Kleidungsstück zu Boden gefallen war. Ich bückte mich, um es aufzuheben. Ich hatte nicht die geringste Ahnung, was sich da zusammenbraute. Daß sie sich mir, als ich mich wieder aufrichtete, mit offenem Haar, nackten Armen, halb entblößten Schenkeln und immer noch reglos zeigte, weckte in mir keinerlei Verdacht. Wahrscheinlich hatte ich für diesen Tag genug Aufregung gehabt, so daß mein Geist erschlafft war. Ich schaute sie lächelnd an, wie ein vollendeter Idiot, und faltete die Hände auf meinen Knien. Sie lächelte mich ebenfalls an. Als ich rein zufällig bemerkte, daß der Träger ihres Unterkleids auf ihren

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