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Pas de deux

Pas de deux

Titel: Pas de deux Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippe Djian
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Mary gegenüber, die ständig um Liszt bettelte, hatte ich mich taub gestellt –, und ich hatte den Leuten ein wenig Sand in die Augen gestreut, indem ich mit verklärter Miene und Grimassen schierer Ekstase weit unter meinen Möglichkeiten geblieben war. Die wahren Kenner, die, denen der Name Nadia Boulanger etwas sagte, taten mir leid. Denn selbstverständlich hatte mich der Richter als ein Schüler der Rue Ballu vorgestellt – er hatte erklärt, das sei eine längere Ansprache wert –, und eigentlich durfte man da etwas mehr Mut von mir verlangen … Nun denn, ich errang an diesem Abend trotz allem einen ganz netten Erfolg, ohne daß es mich etwas kostete, und der Richter stellte sich neben mich, während man mir applaudierte, und wenn man mir Blumen überreicht hätte, dann hätte er die wahrscheinlich auch genommen, und die Lippen des jungen Mädchens hätte er sicher auch geküßt.
    Danach führten sie mich in den Garten, wegen des Feuerwerks. Diesmal klammerte sich die Frau des Richters an meinen Arm. Es kam mir vor, als sprächen sich die beiden ab. Ich kam nicht umhin, mir einen Bourbon nachzubestellen, um mich dagegen zu wappnen.
    Die Gäste rückten auseinander, um uns die besten Plätze zu überlassen, der alten Dame und mir. Ich dachte, ich hätte Halluzinationen, als ich all diese Lichter auf dem Ozean sah, oder ein Stück Festland habe sich gelöst und treibe an uns vorbei, doch meine Begleiterin lieh mir ihr Opernglas und meinte, er sei an Bord. Ich schaute durch das schmale Ende, um Abstand zu gewinnen. Dann erschien der Richter auf dem Dach seines Hauses. Er schwenkte ein Gerät, das wie eine Lokomotive tütete. Die Jacht antwortete mit einem mächtigen Stoß aus dem Nebelhorn. Daraufhin drückte William S. Collins ein paar Tasten, und sein Ding brach in ein Fauchen aus, daß einem sämtliche Haare zu Berge standen. Im nächsten Moment erfüllte ein Höllenlärm die ganze Küste. Ich wußte nicht, ob es sich dabei um einen Brauch handelte. Jedenfalls schienen sich alle über diesen Firlefanz zu freuen, der noch eine Weile anhielt, doch alles Schöne hat mal ein Ende.
    Der Richter tauchte neben uns auf, als die ersten Leuchtraketen von dem Frachtkahn aufstiegen und ein sattes Rot auf unsere Gesichter regnete.
    »Fünfzig Jahre verheiratet!« murmelte er, vergrub die Hände in den Taschen seines Smokings und richtete den Blick mit verzücktem Lächeln gen Himmel.
    Mittlerweile krachte es kreuz und quer am Firmament, und der Ozean war bis zum Horizont hell erleuchtet. Das geringste Funkenbüschel war so groß wie ein Atompilz.
    »Fünf volle Jahrzehnte!« fügte er hinzu und schob seine Hand auf meine Schulter.
    »Sechshundert Monate, achtzehntausendzweihundertfünfzig Tage!« raunte ich ihm zu.
    »Ja … Und was sagen Sie dazu?«
    »Nichts«, antwortete ich.
    Ich entfernte mich, derweil das Himmelszelt mehr und mehr mit bunten Sternen und Leuchtkugeln übersät war – verglichen damit hätte man das Pariser Feuerwerk vom 14. Juli in einem Fingerhut abhalten können – und ein starker Pulvergeruch in der Luft schwebte. Ich hatte Hunger. Ich füllte mein Glas auf und gönnte mir ein ganzes Sortiment von Kanapees, mit denen ich mich unter dem Grollen der Detonationen zum Swimmingpool verzog. Dort war es zwar nicht ruhiger, aber die Atmosphäre war weniger tödlich.
    Es waren in der Mehrzahl junge Leute. Es gab zwar auch ein paar ungesellige, ältere Typen von meinem Schlag, die mit desinteressierter Miene umherschlichen wie scheue, ausgehungerte Wölfe, doch die bewegten sich eher unauffällig oder blieben stehen, um sich eine Zigarette anzuzünden und einen Blick zu riskieren, dann verschwanden sie wieder in den Büschen. Es war ein Fehler von ihnen, daß sie sich nicht hinsetzten. Halbnackte Mädchen tauchten vor einem auf, frisch und tropfnaß, und man brauchte nicht im Boden zu versinken, auch wenn sie einem einen dreisten und blasierten Blick zuwarfen. Wußten sie nicht, was sie erwartete? Nur ein paar Schritte weiter waren ihre Mütter, verbittert, mürrisch, frustriert, Herrscherinnen über ein Reich von Absurditäten, das finsterer und kälter war als alles, was sie sich vorstellen konnten.
    Einige hatten einen schönen Hintern und hübsche Brüste. Ihre Stimmen waren klar, ihre Zähne weiß, ihre Posen einstudiert. Die Jungen beobachteten sie wie Vieh und grinsten über die obszönen Witze, die sie rissen. Was die einen und die anderen gemeinsam hatten, waren Härte und Langeweile.

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