Pas de deux
später war Mama an der Reihe, und angeblich hat mich Elisabeth als erste in die Arme genommen, und manchmal habe ich mich gefragt, ob die beiden nicht eine Art Pakt miteinander haben, ob sie sich vielleicht gewisse Dinge geschworen haben. Ich finde das rührend, im Ernst. Es tut gut, daß es so starke Sachen im Leben gibt. Daß zwei Menschen so fest miteinander verbunden sind, vom gleichen Ideal beseelt, ob es sich nun um den Tanz handelt oder um etwas anderes. Das ist kein Vergleich zu diesem Quatsch mit Tristan und Isolde.
Ich habe sie vorhin beobachtet, als sie sich auf der Bühne verbeugten und die Leute klatschten. Im Grunde bin ich ein Gefühlsmensch, es gibt halt Dinge, die gehen mir wirklich zu Herzen.
Kurz und gut. Papa hatte einen Riesenerfolg und wir gleichzeitig auch. Der Direktor des Theaters ist gekommen, um ihn zu beglückwünschen, wildfremde Leute haben ihm die Hand gedrückt, und Elisabeth hat Autogramme gegeben. Papa hat dem Übersetzer erklärt, daß ›sinn-fein‹ auf gälisch »Wir allein« bedeute und daß er voller Bewunderung für die Choreographie von Iwanow sei oder auch jene, die Balanchine 1954 präsentiert habe, und daß er Leningrad überwältigend finde. Meine Güte! Er hätte ihnen noch die ganze Nacht etwas ins Ohr gesungen, wenn wir ihn nicht am Arm gepackt hätten. Als wir draußen waren, setzte der Zauber wieder ein. Es herrschte eine lausige Kälte, doch die Stadt erschien mir wundervoll. Und dann hat mich Henri-John verblüfft. Wir wanderten über den Newski-Prospekt mit seinen Kirchen und Palästen und dem goldenen Pfeil der Admiralität, der in der Feme blinkte, als er mich am Arm faßte und neben mir herging und über alles in Verzückung geriet. Ich mußte mich zurückhalten, ihn nicht zu fragen, was plötzlich in ihn gefahren sei, aber es ist so selten, daß er mal ein wenig netter ist, daß ich gar nicht erst nach einer Erklärung gesucht habe. Wie dem auch sei, es hat mir gefallen, und auch, daß er für die Dinge, die an mein Herz rührten, nicht unempfänglich war. Ich kann nicht sagen, daß er sich zu seinem Vorteil oder Nachteil verändert hat, seit er mit Ramona schläft, aber anders ist er schon. Er ist ruhiger und nervöser zugleich, offener und verschlossener. Ich bin neugierig, wie er in ein paar Jahren sein wird, noch ist alles offen. Manches an ihm ist noch so jungenhaft, daß man nichts vorhersagen kann. Von Zeit zu Zeit, wie heute abend, hat er seine lichten Momente, da hat man Lust, ihn zu packen und in die Arme zu nehmen. Aber ich mache mir keine Illusionen, morgen ist er bestimmt wieder unerträglich, dafür könnte ich meine Hand ins Feuer legen. Es kommt einem vor, als hätte er eine Stinkwut, wenn wir einen angenehmen Augenblick verbracht haben. Dann wird mir wieder klar, daß er mitunter ein Brett vorm Kopf hat. Deshalb habe ich mich vorhin auch gefragt, ob sich nicht doch ein Engel an meinen Arm geklammert hat.
Ich glaube, ich bin dazu verdammt, zu verdursten. Dreimal bin ich schon aufgestanden, um die Tante draußen im Flur um Wasser zu bitten, und wenn ich ihr die Flasche zeige, nickt sie, aber ich warte immer noch. Das Leitungswasser schmeckt widerlich, das ist bestimmt der Grund, warum man hier so viele Besoffene auf der Straße sieht. Vom Bett aus blicke ich auf schneebedeckte Kuppeln, und alles ist still.
Ich dachte, ich hätte eine glorreiche Idee gehabt, aber es war keine. Ich dachte, einige Plätze hätten ihre Stille und ihr Geheimnis bewahrt, aber ich bin ein Idiot, ein naiver Tölpel. Das kam nur daher, daß ich mich aufspielen wollte. Ich wollte einen kleinen Ausflug organisieren, um Finn ein wenig zu imponieren. Er chauffierte mich ständig kreuz und quer durch das Cape, er kannte sein Gebiet wie seine Westentasche. Ich hatte gedacht, zur Abwechslung könnte ich einmal den Führer spielen.
Ich war auf eines dieser Bücher zurückgekommen, die mich aufgerüttelt hatten, als ich um die zwanzig war, Walden und das Leben in den Wäldern, und ich hatte Finn den halben Tag mit Thoreau in den Ohren gelegen. Bis zum Walden Pount brauchte man keine vier Stunden, ob er nicht Lust hätte, mich zu begleiten? Wir könnten einen Schlafsack einpacken, und die Nacht wäre sternklar, wir könnten am Ufer des Teichs schlafen, na was hielt er davon?
Nicht viel, aber ich ließ nicht locker, bis er auf meinen Vorschlag einging.
Ich hatte am frühen Morgen die Karte studiert. Ich hatte gedacht, wir könnten in Concord zu Mittag essen und uns das
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