Pas de deux
Haus von Emerson anschauen, danach bis zur North Bridge wandern, wo die Engländer Prügel bekommen hatten. Doch wir mußten uns um eine Kuh kümmern, die sich in einem Sumpf verlaufen hatte, und dann erst einmal umkehren, um uns umzuziehen, nachdem wir sie mit einiger Mühe dazu gebracht hatten, in einen Viehwagen zu klettern. Also kamen wir erst am frühen Nachmittag los, und mit irgendwo essen, Emerson grüßen und die Brücke beschnuppern, an der die erste Schlacht des Unabhängigkeitskrieges (im Morgengrauen des 19. April 1775) stattgefunden hatte, war es nichts mehr. Wir kauten ein paar Brote im Auto. Doch trotz alledem war ich guter Dinge und gab mir alle Mühe, Finn ein wenig mit meiner Begeisterung anzustecken. Ich kramte hervor, was mir von meiner Lektüre in Erinnerung geblieben war, und erzählte ihm von Henry Davids kleiner Hütte, von dem schlichten Leben, das er dort in der Einsamkeit und in der Meditation geführt hatte und dessen Flair ich, erst einmal an Ort und Stelle, wiederzufinden hoffte. Ich erwartete einen Tempel aus urwüchsigem Grün, eine imposante Stille, eine dieser unberührten, jedwedem Ansatz von Zivilisation abholden Ecken.
Als wir ankamen, erblickten wir mitten auf der Straße einen Polizisten, der schwitzend in der Sonne stand und den Verkehr regelte. Ich wurde ein wenig nachdenklich, vor allem, weil dort ein beträchtlicher Stau war und ringsum Fußgänger. Ich fragte den Polizisten, was dieses Theater zu bedeuten habe, doch er gab keine Antwort und wies uns auf einen riesigen Parkplatz, wo ich zehn Dollar berappen mußte. Einen Platz zu finden war gar nicht einfach. Ich schaute Finn nicht an, und ich sagte kein Wort.
Zwischen Parkplatz und Bundesstraße, umsäumt von Papierkörben, erhob sich auf einem nur wenige Meter breiten Streifen Thoreaus Hütte. Oder vielmehr eine bis ins winzigste Detail getreue Nachbildung, wie auf einem Schild präzisiert wurde, getreu bis auf die Tatsache, daß man sie wegen irgendwelcher Straßenbaugeschichten um eine halbe Meile verlegt hatte. Ein kleines Puppenhaus von fünf, sechs Quadratmetern, hätte man meinen können, aber ich brachte es nicht über mich, einen Blick hineinzuwerfen.
Wir mußten warten, bis wir, die Handtücher um den Hals geschlungen, vorbei konnten. Ich dachte, mich trifft der Schlag. Jede Menge Kinder in Badehosen und mit Schwimmreifen um den Bauch, Mütter, vollgepackt mit Strandutensilien, und Väter, die Kühltaschen von der Größe eines Wäschetrockners schleppten.
Zum Glück entpuppte sich der Teich als See, und die Leute drängten sich an ein und derselben Stelle zusammen. Ich ging vor, am Ufer entlang, die Augen starr auf den Boden gerichtet, und das sieben- oder achthundert Meter weit, bis ich eine Ecke fand, in der man einigermaßen seine Ruhe haben würde. Ich breitete mein Handtuch auf einem Bett aus schwarzen Kieselsteinen aus, zwischen zwei Grasbüscheln.
Von überall her schallten Radiogeräte zu uns herüber, sofern nicht irgendein Trampeltier hinter einem vorbeiging, einen grölenden Apparillo auf der Schulter, der fast das Wasser des Sees kräuselte. Gegenüber war am ganzen Strand entlang ein Ring von weißen Körpern zu sehen, wie Abfall, der in der Sonne bleicht, ein Kordon aus wimmelndem und schändlichem Abschaum. Man konnte ihn nicht vergessen, trotzdem, wenn man die Augen ein wenig zusammenkniff und sich die Ohren zuhielt, wenn man sich weigerte, diese Köpfe und diese Arme zu sehen, die sich in dem umbrabraunen Wasser bewegten, konnte man noch etwas mitkriegen. Der See lag in einem engen Tal und war sehr tief, wie einem vorne am Anfang warnend mitgeteilt wurde, und es ging von ihm etwas Geheimnisvolles, eine Art Sog, eine hinterhältige Gutmütigkeit aus, ein Eindruck, der noch verstärkt wurde durch launenhafte Biegungen, durch unvermutete Ausbuchtungen und Seitenarme. Hinzu kam, daß er ringsum von einem dichten Wald umschlossen war, der sich bis auf zwei, drei Meter ans Ufer drängte und an steilen Abhängen emporklomm, so daß man sich inmitten eines eindrucksvollen Kessels befand, der sich zum Himmel hin öffnete. Und da konnte es durchaus passieren, daß einen eine flüchtige Erregung erfaßte, daß einen Thoreaus Hauch für einen kurzen Moment streifte.
Ich fragte Finn nicht, ob er irgend etwas verspüre. Ich sagte ihm, es tue mir leid, daß ich ihm diese Sache eingebrockt hätte. Er verstand nicht, warum. Aber ich fügte hinzu, noch sei nicht alles verloren, meines Erachtens werde der
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