Pas de deux
süchtig danach, alles wollte er wissen, jedes Detail. Deshalb weiß ich, wie er sich vorhin gefühlt hat, und wir hatten Schiß, als wir uns vorbereiteten und ihn nur sahen, wir trauten uns nicht mal, ihn anzureden. Und auch er bekam keinen Ton heraus. Kurz bevor es losging, ist er in der Garderobe aufgetaucht, und alles, was er uns als Ansporn mit auf den Weg gab, das war, daß wir uns nicht den Kopf zerbrechen sollten, und dabei lächelte er so traurig, daß es uns fast umgeworfen hätte. Elisabeth hat ihm empfohlen, eine Runde spazierenzugehen.
Man hört so einiges über die Tänzer des Kirow-Balletts, über ihre Raffinesse und ihre Eleganz, daneben soll selbst das Bolschoi fast ein Zirkus sein. Nun, wer heute abend Elisabeth hat tanzen sehen, der weiß, was wahre Raffinesse und wahre Eleganz ist. Selbst uns, die wir sie gut kennen, hat es den Atem verschlagen. Und Henri-John hat sich neben die Bühne gestellt und zugeschaut. Er sah aus, als hätte er eine Vision oder als schlüge er gleich der Länge nach hin.
Das endete damit, daß der ganze Saal stehend applaudierte. Und Jacobson packte Elisabeth und Papa (mit Rebecca und Spaak im Schlepptau) und zog mit ihnen ab.
Henri-John ist eifersüchtig. Nicht erst seit heute, schon immer. Als ich ihm an den Kopf warf: »Bist du etwa verliebt in mich, oder was?!« hat er sich auf mich gestürzt, und dann haben wir uns auf dem Teppich des Zimmers geprügelt wie die Kesselflicker. Es ist ganz gut, gewisse Dinge überprüfen zu können.
Trotzdem, er sieht es nicht gern, wenn ich mit einem Jungen zusammen bin. Es regt ihn auf. Er bildet sich ein, mich überwachen zu dürfen, und während ich das jetzt schreibe, muß ich die Zähne zusammenbeißen, ich zittere von Kopf bis Fuß, so sauer bin ich auf ihn. Falle ich ihm denn auf den Wecker, wenn er bei Ramona ist? Ich weiß nicht, was mich davon abgehalten hat, ihm die Sache an den Kopf zu werfen! Er wird sich damit abfinden müssen, und das habe ich ihm auch gesagt, denn noch ist das erst der Anfang, und ich habe keine Lust, ins Kloster zu gehen. »Wenn du darauf hoffst, dann hast du dich geschnitten …« Ich habe ihn gewarnt. Ich hätte heulen können vor Wut. In diesem Moment hätte ich mich jedem, der mein Zimmer betreten hätte, an den Hals geworfen, und wenn ’s der Zimmerkellner gewesen wäre, und ich hätte mich mit ihm verdrückt, ich schwöre es!
Das war nach dem Essen im Hotel, das bald drei Stunden gedauert hat, obwohl der Speisesaal fast leer war, aber das scheint hier Usus zu sein, die Leute warten zu lassen. Es waren ein paar junge Russen bei uns, darunter Juri, der Sohn des Theaterdirektors. Papa hatte sie für die Tänze des zweiten Akts engagiert, und wir fanden sie ziemlich nett, obwohl wir von dem, was sie erzählten, kein Wort verstanden. Aber Juri sprach französisch, seine Mutter war Französin, er machte den Dolmetscher. Kurz und gut, wir beschlossen, nach dem Essen einen Spaziergang zu machen.
Von der Kälte will ich nicht mehr reden. Die anderen kamen zurück, Jacobson hatte sie bis zum Hotel gebracht, und sie wollten nicht mehr raus, sondern nur noch Wodka trinken und ihre Erlebnisse schildern, während sie sich aufwärmten, so daß gut die Hälfte bei ihnen blieb, die Schlappschwänze, würde ich sagen, diejenigen, die sich sofort wieder hingesetzt haben, als Spaak uns von minus 24 Grad berichtete.
Wir gingen Richtung Admiralität, zum Platz der Dezembristen, Juri neben mir. Er zeigte mir alles mögliche, was es zu sehen gab, bis sich mir der Kopf drehte und ich grundlos anfing zu lachen. Vor der Statue Peters des Großen zitierte er Puschkin, um mir zu imponieren: »Das ist der Mann, dessen schicksalshafter Wille diese Stadt auf dem Grund des Meeres gegründet hat.« Aber ich war nicht beeindruckt. Er erzählte mir auch von den Palästen. Wir standen auf dem Kai der Roten Flotte, und er zeigte mit dem Finger auf die Fassaden und beugte sich zu mir herüber, um zu sehen, ob ich auch in die richtige Richtung guckte. Ich konnte seinen Atem spüren und den Geruch seiner Haare. Und ehrlich gesagt, ich fand ihn nicht übel, und auch daß er Russe war, fand ich lustig, das paßte gut in den Rahmen. Wir wandten uns zur Newa mit ihren dicken, zertrümmerten Eisbrocken, er legte seine Hand auf meine Schulter und redete über die Insel Wassiljewski, aber ich hörte nicht zu, ich träumte vor mich hin, ich fühlte mich heiter und gelöst, und ich wartete darauf, daß er mich in seine Arme nahm, statt
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