Pendergast 03 - Formula - Tunnel des Grauens
Schmerzanfall zwang ihn stehen zu bleiben. Es war, als würde der ganze Bauchbereich von einem Krampf geschüttelt. Er versuchte, den Schmerz durch die Kraft seines Willens niederzuringen.
Trotz der schweren Verletzungen, die er erlitten hatte, war es ihm bisher gelungen, sich einen klaren Kopf zu bewahren – oder zumindest einen Winkel in seinem Kopf, dem es gelang, sich gegen alle Störfaktoren abzuschotten und weiterhin klare Gedanken zu fassen. Ungeachtet der Nebelschwaden, in die der Schmerz ihn sporadisch einhüllte, versuchte er, sich ganz auf diesen Winkel zu konzentrieren und aus dem, was er im Halbdunkel des Gewölbes ausmachen konnte, logische Schlussfolgerungen zu ziehen.
Messbecher, Destillationsgeräte, Retorten, Brenner – ein schier unüberschaubares Dickicht aus gläsernen und metallenen Gegenständen. Aber trotz der verwirrenden Menge an Hilfsmitteln und Gerätschaften schien es einige wenige Hinweise zu geben, aus denen sich ableiten ließ, woran Leng vermutlich gearbeitet hatte. Für chemische Versuche braucht man immer die gleiche Ausrüstung, egal mit welchen Chemikalien man arbeitet und ob man Substanzen trennen oder verbinden will. Auf den Tischen lagen Schutzmasken und -handschuhebereit, möglicherweise ein Indiz dafür, dass Leng in seinem Labor mit giftigen oder radioaktiven Substanzen gearbeitet hatte. Aber das war natürlich nur eine ungesicherte Vermutung.
Was ihn verblüffte, war die kärgliche Ausstattung des Labors mit modernen Geräten. Es gab kein Massenspektrometer, kein Gerät zur Beugung von Röntgenstrahlen, keines für eine Elektrophorese, natürlich erst recht keine Ausstattung für DNA-Analysen und nicht einmal einen Computer. Das Alter und der Wartungszustand der vorhandenen Gerätschaften ließen vermuten, dass die Laborarbeiten vor etwa fünfzig Jahren abgebrochen worden waren.
Aber das ergab keinen Sinn. Leng hätte sich, solange er an seinem Projekt arbeitete, sicher die dem letzten Stand der technischen Entwicklung entsprechende Ausrüstung und die modernste Computertechnik beschafft, schon um sein gestecktes Ziel so schnell wie möglich zu erreichen. Und sein Tod konnte auch keine logische Erklärung sein, denn bis vor wenigen Wochen hatte er ja noch gelebt.
War es denkbar, dass er sein Projekt erfolgreich abgeschlossen hatte? Wenn ja, wo bewahrte er das Ergebnis auf? Und was war das Ergebnis? Lag es gut versteckt irgendwo in diesen weitläufigen Kellergewölben? Oder gab es gar kein Ergebnis, hatte er einfach irgendwann aufgegeben?
Der schwankende, langsam näher kommende Lichtstrahl der Taschenlampe zwang Pendergast, seine Spekulationen abzubrechen und sich einen Ort zu suchen, an dem er vor Fairhaven sicher war. An der hinteren Wand der lang gestreckten Kammer konnte er eine Tür ausmachen. Er schleppte sich unter unsäglichen Schmerzen bis zu ihr. Hoffnungen verband er nicht damit. Wenn die Kammer, in der er sich jetzt befand, Lengs Labor gewesen war, dann konnten jenseits der Tür nur ein, zwei Lager- und Abstellräume liegen.
Die Schmerzen wurden immer unerträglicher, er konnte sich kaum noch bewegen. Er war an dem Punkt angekommen, andem er sich eingestehen musste, dass er die Partie verloren hatte.
Nur, weiß man das je ganz sicher?
Er stieß die Tür auf, schleppte sich noch drei, vier Schritte weiter und nahm die Haube von der Grubenlaterne. Er wollte nach den Schusswunden sehen und dann noch einen letzten Versuch unternehmen, Lengs Geheimnis zu ergründen.
Er kam nicht mehr dazu, denn plötzlich knickten ihm die Beine weg. Er stürzte wie eine gefällte Eiche, die Laterne fiel zu Boden und rollte weg, ihr Licht malte bizarre Konturen auf die Wand und ließ hunderte scharf geschliffener Stahlzacken aufblitzen – so grell, dass Pendergast rasch die Augen schloss.
10
Sobald das Echo des zweiten Schusses verhallt war und der Staub sich gelegt hatte, ließ Fairhaven den Lichtstrahl der Taschenlampe wieder durch das Gewölbe schweifen – ungeduldig und drängend, aber das Ergebnis war enttäuschend: von Motten zerfressene, museumsreife Kleidungsstücke und alte Kästchen mit irgendwelchem Schnickschnack … Nein, das konnte nichts mit Lengs Forschungsprojekt zu tun haben. Er war absolut sicher, dass er Pendergast auch diesmal getroffen hatte. Die Verletzung war vielleicht nicht so schwer wie bei dem Bauchschuss, aber sie musste ihm Schmerzen bereiten und ihn schwächen. Nichts ist hinderlicher als eine Wunde, wenn man es eilig hat wegzukommen. Der
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