Pergamentum – Im Banne der Prophetin: Roman (German Edition)
zum Kreuzgang, in Richtung der Stimmen.
Einige Schwestern kamen ihr entgegen, einen schlaffen Körper tragend. Jutta lief voran, erblickte Margarete, eilte aber weiter, ohne erkennbaren Missmut. Mit keinem Wort erwähnte sie Margaretes Alleingang, noch beachtete sie deren vor Nässe triefenden Wollhabit. Sie schien in allergrößter Sorge zu sein.
Margarete blieb schwer atmend stehen und ließ die Nonnen mit der wie leblosen Gestalt an ihr vorbeiziehen. In nächsten Moment erkannte sie, um wen es sich handelte. Es war Elysa. Ihr Antlitz war bleich, ihr Wangen waren eingefallen, die Arme hingen herab. Margarete erschrak heftig, und auf einmal schien es, als schwände alle Kraft aus ihrem Körper. Sie kämpfte mit schwindendem Bewusstsein und musste sich an einer Säule der Arkaden abstützen.
Deus meliora , dachte sie erschaudernd. Das Grauen musste doch irgendwann ein Ende haben,
Der Schwindel verging. Atemlos folgte Margarete den Nonnen zur Krankenstube und betrat den Raum, als Jutta und Sibille die bewußtlose Elysa auf eines der Strohlager betteten. »Was ist geschehen?«
»Es war zur Zeit der Sext, wir begannen mit den Psalmen, als uns eigentümliche Laute aufschreckten«, berichtete Sibille mit tränenüberströmtem Gesicht. »Es klang wie ein Wimmern, zunächst glaubte ich an den Ruf eines Tieres, doch dann …«
»Wir sind dem Geräusch nachgegangen und fanden Elysa in der Krypta«, ergänzte eine andere. »Ihre Augen waren weit aufgerissen. Sie hielt den Leib fest umklammert, dann brach sie zusammen. Ihr Atem steht still, es wurde nach dem Priester geschickt, er soll ihr die Absolution erteilen.«
»Ja, er soll kommen«, entschied Jutta, während sie sich leise schnüffelnd Elysas Mund näherte. Dann betastete sie deren Hals, schob den Umhang beiseite und öffnete mit einem Ruck das Leinenhemd. »Doch noch ist nicht alles verloren«, murmelte sie und strich über Elysas weiße Arme. »Rasch, bringt mir frisches Wasser.«
Die Angst nahm Margarete den Atem. Würde die alte Schlange nun jede einzelne Seele des Klosters auslöschen wollen? Aufgewühlt und beschämt zugleich beobachtete sie, wie Jutta ihr Ohr auf Elysas entblößten Bauch legte. »Was tust du?«
»Die Ringelblume ist kalt und feucht, sie hat starke Grünkraft in sich und ist gut gegen Gift. So wusste es bereits die selige Hildegard.«
Über dem offenen Feuer erhitzte Jutta das eilig herangeschaffte Wasser mitsamt den Ringelblumen aus ihrem Herbarium, drückte das Kraut dann aus und legte es noch warm auf Elysas Bauch. Auch flößte sie ihr aus einem Keramikbecher erwärmten Ringelblumenwein ein.
Danach entnahm sie dem Schrank einen meergrünen Stein. Margarete erkannte einen Beryll, der warm war und mit der Kraft der Luft und des Wassers versehen. Jutta begann ihn in Wasser zu schaben und erklärte, dass der gelöste Stein der Kranken dazu verhelfen könnte, das Gift entweder durch Übelkeit auszuspeien oder es durch das Hinterteil hindurchgehen zu lassen.
Humbert von Ulmen betrat die Krankenstube, gefolgt von Anna und Otilie. Margarete bemerkte ein leichtes Stocken, als er den fast nackten Körper sah. Rasch bedeckte sie den Leib der Regungslosen mit dem wollenen Umhang.
»Legt sie auf den Boden«, befahl der Priester. »Auf die Erde, aus der sie entstammt und zu der sie wieder geht.«
Die Nonnen taten, wie ihnen geheißen wurde. Anna schluchzte laut auf, faltete Elysas Hände und legte ein Kreuz auf die Brust.
» O vere pulcherrima anima quam , o Seele, die du wahrhaft die Schönste bist; die himmlische Schönheit fand dich würdig, dich bei sich aufzunehmen.«
Margarete hatte Mühe, sich auf die Worte zu konzentrieren. Ihr Schädel hämmerte, als wolle das Innerste hinaustreten. Halt suchend lehnte sie sich an die kalte Steinmauer und beobachtete das Tun des Seelsorgers, der sich nun anschickte, Elysas Seele auf den möglichen Übergang ins Himmelreich vorzubereiten. Später erst fiel ihr auf, dass Ida nicht zugegen war. Was hatte die blinde Nonne abgehalten, wo sie doch sonst immer zur Stelle war?
Der Geruch von Weihrauch erfüllte den Raum. Der Priester hatte sein Werk vollbracht und den Raum verlassen. Die Nonnen umstanden mit gesenktem Kopf das Lager, ihre Stimmen verschmolzen nun zum leisen Gesang der Psalmen. Margaretes Stimme zitterte, Tränen liefen ihr über die Wangen. Sie konnte sich auf die Worte nicht konzentrieren, dachte an all die unseligen Vorfälle, die dieses Kloster innerhalb so kurzer Zeit ereilt hatten.
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