Pfad der Schatten reiter4
wusste bereits, wer einer der Reiter sein würde.
Der alte Kastellan Sperren schüttelte sich, als erwachte er gerade aus einem Nickerchen. »Was ist mit dem Wall, Majestät?« , fragte er. »Ihr besitzt das Buch, in dem steht, wie er gebaut wurde. Sollten wir nicht lieber auf diese Expedition verzichten und das Buch benutzen, um die Bresche zu reparieren?«
Alle sahen den König an.
»Das ist nicht so einfach«, antwortete Zacharias.
»Ist die Übersetzung also noch nicht fertig?«
»Sie ist fertig.« Zacharias legte seine Hände flach auf den Tisch und stand auf. Alle anderen erhoben sich ebenfalls, aber er bedeutete ihnen mit einer Geste, sich wieder hinzusetzen. Er öffnete die Tür des Beratungssaales und erteilte jemandem draußen einen leisen Befehl. Er blieb stehen, aber er schwieg und hatte seine Hände hinter dem Rücken verschränkt.
Es dauerte nicht lange, bis ein Page erschien, der ein mit einer Lederschnur zusammengebundenes Manuskript trug. Der Knabe legte es auf den Tisch.
»Hier vor Euch«, sagte Zacharias, »seht Ihr die Übersetzung des Buches von Theanduris Silberholz, seine Chronik über die Entstehung des D’Yer-Walls.«
Aufgeregtes Murmeln erhob sich unter den Ratgebern des Königs. Er hob seine Hände, um sie zum Schweigen zu bringen.
»Dies ist, soweit wir wissen, der einzige noch existierende Bericht«, sagte er. »Seit die Bresche in den Wall geschlagen
wurde, haben wir den Verlust dieser Geheimnisse und Baukunst beklagt. Selbst die D’Yers konnten in ihren Archiven nur wenig über die Entstehung des Walls finden. Auch Lord Fiori von Selium war nicht in der Lage, etwas Brauchbares zu entdecken. Nach dem Langen Krieg ist eine Menge geheimes Wissen ausgelöscht worden, denn alle Dinge und alle Personen, die mit Magie zu tun hatten, wurden geächtet und als böse erklärt. Darum sind nicht nur die schriftlichen Berichte im Lauf der Zeitalter verloren gegangen, sondern auch die mündlichen Überlieferungen wurden unterdrückt.«
»Wie hat dieses eine Buch denn überlebt?«, fragte Colin.
»Hie und da kann man noch Bruchstücke unseres magischen Erbes entdecken«, antworte Zacharias. »Aber Silberholz’ Buch? Seine Geschichte entzieht sich weitgehend unserer Kenntnis, doch wenn Sie das Buch heute betrachten würden, könnten Sie nur leere Seiten sehen, wie bei einem unbenutzten Tagebuch. Doch trotz dieses Anscheins enthält das Buch ausführliche Abhandlungen, aber es behandelt nicht nur magische Dinge, sondern ist selbst ein magischer Gegenstand. Zum Beispiel kann man es nur an einem einzigen Ort als das, was es in Wirklichkeit ist, erkennen und lesen.«
Er erwähnte nicht, dass jener einzige Ort die Gruft des Hochkönigs war. Und zwar die Gruft des jetzigen Hochkönigs, nämlich Zacharias selbst. Unten in den Hallen der Toten wartete bereits ein Sarkophag auf ihn.
»Und an diesem Ort mühte sich unser Übersetzer mit Theanduris Silberholz’ Worten ab, um dem Buch seine Geschichte zu entlocken. Da sie sich in einem magischen Gegenstand befanden, waren die Worte oft unberechenbar, und unser Übersetzer musste sich mehr als einmal der Behandlung unserer Heiler unterziehen.«
Armer Agemon, dachte Laren. Agemon war der Oberste Hüter der Grüfte und beherrschte viele alte Sprachen fließend,
darunter auch Altsacoridisch. Da der Eintritt in die Grüfte allen außer Adligen, Waffen und Grabpflegern verboten war, hatte man Agemon mit der Übersetzung beauftragt.
»Ich verstehe das nicht«, sagte Lord Spane. »Wie können Worte jemanden verletzen?«
»Das ist nicht so einfach zu erklären«, sagte Zacharias. »Da gibt es Beschwörungen, die in die Buchstabenkombinationen eingewoben sind, oder in die Worte, oder in die Tinte oder sogar in die Art, wie ein Buchstabe geschrieben wurde. Das einfache Lesen eines Satzes kann bereits eine unangenehme Reaktion hervorrufen. Und nicht alle Worte werden gelesen. Manchmal äußern sie sich auf eine sehr … direkte Weise.
Ein großer Magier wie Theanduris Silberholz hätte das Buch vielleicht lesen können, ohne Schaden zu nehmen, aber auch er hätte einige Zeit gebraucht, um die Beschwörungen zu entschlüsseln. Unser Übersetzer schwebte in großer Gefahr und hat Leib und Leben riskiert, um seinem König und seinem Land zu dienen. Die Abschrift, die er für uns angefertigt hat …«, Zacharias klopfte auf das Manuskript, »… enthält die Magie des Originals nicht und kann somit gefahrlos gelesen werden. Sie besteht aus ganz
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