Pfad der Schatten reiter4
Midhaven erreichte, insbesondere die riesige Kapelle des Mondes, deren Ausmaße es mit jeder Kapelle in Sacor-Stadt aufnehmen konnten. Ihre Augen schienen wehmütig in weite Fernen zu blicken, und als sie ihre Lieblingsorte beschrieb, wurde ihre Stimme fast zu einem Lied.
Es klang, als hätte sie Heimweh. Zacharias hörte ihr höflich zu. Höflich und zurückhaltend saß er angelehnt in seinem Sessel und beugte sich nicht etwa zu der Lady vor, als wollte er jedes ihrer Wort tief in sich aufnehmen und sich an ihrer Gegenwart weiden.
Nicht gerade ein betörter Freier, stellte Amberhill fest. Beinah hätte er geseufzt, denn er dachte, dass dies eine Ehe ohne Liebe werden würde, die lediglich einem Bündnis diente. Liebe war in der Tat unwichtig, solange die beiden Erben hervorbrachten. Dies verleitete ihn dazu, unhöflicherweise an seine Pferdezucht zu denken.
Vielleicht, wenn sich Zacharias etwas mehr um Lady Estora bemühte? Schließlich war es eine Freude, sie anzusehen, und sie war sehr liebenswürdig und intelligent. Eine seltene Mischung. Zacharias sollte sich glücklich schätzen. Amberhill kam der Verdacht, dass es eine andere gab, nach der sich sein Vetter sehnte. Zacharias war ein ernsthafter Mann und konnte wesentlich tiefere Gefühle empfinden als Amberhill. Er war ein aufrichtiger Mann und ein guter, anständiger König, aber diese Tugenden nützten ihm im Umgang mit seiner Verlobten nichts.
Amberhill sorgte dafür, dass seine eigenen Beziehungen zu Frauen stets verspielt und von überaus kurzer Dauer blieben. Er hatte sich noch nie verliebt. Nun ja, vielleicht einen oder zwei Tage lang. Er mochte mehrere Frauen sehr, und sie gaben ihm so viel Wärme und Vergnügungen, wie er nur wollte. Zacharias sollte diese andere Frau zu seiner Geliebten machen und nicht weiter darüber nachdenken. So etwas war unter Adligen durchaus üblich.
Dann überraschte ihn Zacharias, indem er Lady Estora anlächelte und die eine oder andere Einzelheit an der Küste der Provinz Coutre kommentierte. Lady Estora lächelte zurück.
»Ja«, sagte sie, »vom Meer her ist es ein wundervoller Anblick.« Amberhill dachte, dass er sich lieber auf das eigentliche Gespräch konzentrieren sollte, aber die Dynamik zwischen seinem Vetter und Lady Estora faszinierte ihn. Ihm fiel ein, dass es für die beiden äußerst schwierig sein musste, einander kennenzulernen, da sie ständig von Anstandsdamen begleitet
wurden und bei offiziellen Anlässen von unzähligen Höflingen umgeben waren. Trotz allem, und obwohl Amberhill glaubte, dass Zacharias an einer anderen interessiert war, musste er seine Meinung revidieren und zugeben, dass doch eine gewisse Zuneigung zwischen den beiden bestand. Sie waren offensichtlich nicht ineinander verliebt, aber zumindest waren sie einander sympathisch. Vielleicht würde die Beziehung mit der Zeit noch wachsen.
»Ich habe den Seeberg erstiegen, als ich ungefähr sechzehn war«, sagte Zacharias. »Ich war auf Reisen durch die Provinzen, um so viel wie möglich von Sacoridien zu sehen. Vom Gipfel des Seebergs war der Blick auf den Hafen und die Inseln überwältigend. Außerdem fand ich die Heidelbeeren, die dort wuchsen, einfach köstlich.«
Lady Estoras Augen leuchteten auf, und sie schwelgte in weiteren Erinnerungen an Heidelbeeren und den Seeberg. Die beiden schwärmten noch eine ganze Weile davon und ertappten Amberhill bei einem Gähnen.
Lady Estora lachte. »Unser armer Lord Amberhill. Wir langweilen ihn mit unseren Erinnerungen.«
»Keineswegs«, antwortete dieser. »Es ist nur, dass ich den ganzen Tag gearbeitet habe, um mein Stadthaus zu räumen.« Ihm würde sein »kleines« gemietetes Haus im Adelsviertel fehlen, aber es war sinnlos, es zu behalten, wenn er auf unbestimmte Zeit fort sein würde, um etwas Unbestimmtes zu tun. Inzwischen hatte er seinen Verwalter beauftragt, ein passendes Haus zu kaufen. Ein größeres, protzigeres Haus, da er es sich jetzt leisten konnte. Schließlich ging es bei allem um die Wirkung.
Ein Diener kam vorbei, und Amberhill stellte seine leere Teetasse auf ein Tablett. Lady Estora holte überrascht Luft.
»Meine Dame?«, fragte Amberhill erschrocken.
»Euer Ring«, sagte sie. »Er reflektiert das Licht. Darf ich ihn näher betrachten?«
»Selbstverständlich«, antwortete Amberhill und verfluchte im Stillen, dass das Ding so auffällig war. Angesichts der Art und Weise, wie er sich den Ring beschafft hatte, und der Tatsache, dass es auf bestimmte Kräfte
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