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P.M. Manetti lesen oder Vom Guten Leben

P.M. Manetti lesen oder Vom Guten Leben

Titel: P.M. Manetti lesen oder Vom Guten Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
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ein angekündigter Aufstand.«
    »In den Salons redete man von nichts anderem«, stimmte ihm Christian zu.
    »Das Problem sind die Amerikaner, das heißt die amerikanische Oligarchie«, sagte Grondin, »Obama hin oder her – das Imperium ist noch intakt. Die 500 herrschenden Familien in den USA werden ihre Macht nicht hergeben. Frankreich könnte das nächste Afghanistan sein.«
    Ich sah schon die Drohnen über Caseneuve kreisen und uns drei alternde Taliban auslöschen.
    Ich erinnerte mich dunkel an das Buch von Viviane Forrester, ich dachte, es sei vor einigen Jahren erschienen. Als ich Grondin fragte, sagte er: »Das war Mitte der neunziger Jahre. Es gab damals Probleme in den
banlieues

    »Damals schon?«
    Grondin lachte. »Da merkt man, wie alt man ist«, sagte er, »alles war schon einmal da und ist länger her, als man denkt.«
    »Und Gorz’
Wege ins Paradies
erschienen 1983«, ergänzte Christian, »das ist auch schon wieder 27 Jahre her. Inzwischen haben wir länger gearbeitet, als er für ein ganzes Arbeitsleben vorschlug.«
    »Das heißt, wir verlieren andauernd«, sagte ich.
    »Wir sind erledigt«, sagte Grondin, »und es wird nicht besser.«
    Da entdeckte er einen Falken am Himmel, der zitternd an Ort und Stelle schwebte. Wir sprangen alle auf, betrachteten den Falken schweigend, und die zwei Frauen kamen zurück.
    Sie kamen nicht allein, sondern mit der Nachbarin Marlène Morand, einer alternden Blondine aus Paris, die sich diskret, aber nur allzu offensichtlich zurechtgemacht hatte. Sie brachte eine frische
pissaladière
, einen provenzalischen Zwiebelkuchen. Sie küsste Christian drei Mal. Als ich die beiden so sah, dachte ich, dass sie ein schönes Paar abgaben, verdrängte den Gedanken aber sofort wieder.
    Manetti war im Wesentlichen ein Beobachter der achtziger Jahre, dieses Jahrzehnts eines seltsamen Rückfalls. Die siebziger Jahre hatten in eine Sackgasse geführt, die achtziger Jahre zurück, die neunziger Jahre waren eine virtuelle Ausflucht, eine Art Windstille. Die Stimmung war gekippt, wie Peter Bichsel einmal sagte. Die nuller Jahre waren irgendwie schon transzendental, jenseits der Geschichte. Und was nun kam, war eine Konfrontation mit Schulden und Bilanzen. Eine Abrechnung. Die nun aufgeschoben wurde, wie immer.
    Marlène Morand lehnte sich an Christian und sprach ihm Trost zu.
    »Sie kommt schon wieder«, sagte sie, »vielleicht hat sie nur eine vorübergehende Krise.«
    Jeannine und Nora brachten diverse
pâtés, terrines
, Salate,
quiches, saucisses, taboulés, brandades
, Ziegenkäslein usw. auf ovalen Platten. Besteck wurde verteilt, Teller, Gläser, der Wein der Region wurde ausgeschenkt.
    Marlène quetschte sich zwischen Christian und mich, Nora und Jeannine fanden Platz neben Herrn Grondin.
    Von außen betrachtet, sah es aus wie eine fröhliche Gesellschaft. Aber es fehlten Leute, immer mehr, wie ich vermutete. Wir waren die Hinterbliebenen.
    Es wurde auf niemanden angestoßen. Man trank einfach.Ich war mir bewusst, dass Herr Grondin die ganze Zeit im Dienst war. Er hatte sich mit seinen radikalen Ansichten perfekt eingeschmeichelt, versuchte diskret seinen Informationsstand zu verbessern. Er hatte sicher bemerkt, dass Jeannine und Nora an einer Sache dran waren und dass ich mehr wusste, als ich durchsickern ließ. Er interessierte sich echt für Gorz, Forrester, Latouche und den »kommenden Aufstand« der angeblichen TGV-Saboteure, aber er wollte auch seinen Fall lösen, um dann seine Pensionierung auf Martinique zu genießen, falls er überhaupt ein Haus auf Martinique hatte, was ich bezweifelte, weil Martinique zu der Zeit nichts als Ärger und Verdruss bedeutete. Wie Colombo pflegte Grondin seinen Stil des »Was-ich-nochfragen-wollte«.
    Grondin lobte den Wein, die feine
brandade
, aber ganz besonders Frau Morands
pissaladière
. Christian saß beklommen da.
    Ich beschloss, alles zu genießen, was auf mich zukam. Das Wetter war ideal, die Gesellschaft anregend, dass Essen ausgezeichnet, der Wein noch besser. An einem gewissen Punkt schlich ich mich ins Wohnzimmer, fand die Rolling-Stones-Platten auf der Fiction-Seite, legte »I can’t get no satisfaction« auf und drehte die Lautstärke fast auf das Maximum. Das war 1965. So lange her. Vielleicht sollte man Keith Richards’ Memoiren lesen statt Manetti.
    Jeannine schlich nach einigen Minuten ins Wohnzimmer und drosselte die Lautstärke zu einem Winseln.
    Als sich Grondin nach dem Kaffee verabschiedet hatte, bot mir

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