P.M. Manetti lesen oder Vom Guten Leben
Tagen besetzt. Die Leute in Lisas Haus kenne ich ebenfalls. In St. Martin gibt’s ein Hotel, in Apt mehrere. Allenfalls könnte er hier morgen früh wieder auftauchen. Ich war den ganzen Tag im Dorf unterwegs und habe niemanden gesehen, auf den die Beschreibung passt.«
»Keine unbekannten Gäste«, sagte auch Marie Lénard, die beleibte Inhaberin der Bar.
»Ich würde es merken, wenn sich hier jemand herumtreibt«, erklärte der alte Léon Savona, der sich um das Oratorium und die Kirche kümmerte.
Wir setzten uns zu ihnen vor die Bar und tranken ein weiteres Glas Rosé. Alle rauchten.
»Wenn wir ihn sehen, sagen wir’s dir«, versicherte Léon nochmals.
»Ist das ein Krimineller?«, fragte die elegante Eliane Gougeaud, die ein Ferienhaus außerhalb des Dorfes besaß.
»Kaum«, antwortete Christian, »vielleicht will er nur mit Nora reden. Womöglich hat er Italien nie verlassen. Wir gehen jeder Spur nach.«
»Grondin war heute Morgen wieder hier«, verkündete Marie, auch sie schon im Pensionsalter. Es gab hier praktischnur Menschen in diesem Alter, die Jungen waren längst nach Apt verschwunden. Caseneuve war im Winter so gut wie leer. Bar und Restaurant geschlossen.
»Wirklich ein netter Mensch, dieser Grondin«, meinte Jean Gomez, der immer noch seinen Blaumann trug. Er war Gärtner und Jäger, spielte aber meistens nur Pétanque auf dem Plätzchen vor der alten Schlossmauer. Er erschoss höchstens hie und da eines seiner Kaninchen. Seit seine Frau gestorben war, kümmerte sich Eliane um ihn. Sie war schlank, sportlich, dunkelblond, schminkte sich jeden Tag und achtete – im Gegensatz zu ihm – auf modische Kleider. Wie er hatte sie ihr Haus in Caseneuve von der Familie geerbt. Sie hatte aber noch eine Wohnung in der Nähe von Reims.
An einigen andern Tischen saßen Sommergäste aus England und Norwegen. Weiter hinten die unvermeidliche mysteriöse Amerikanerin, die eifrig in ihr Tagebuch schrieb. (Man fragt sich: was zum Teufel nur?)
»Wir können ausschließen, dass Rita in der Zeit nach den Sommerferien hier war«, erklärte Christian.
»Wir hätten sie gesehen«, versicherte Léon.
»Sie war auch nicht in der Gegend«, meinte Jean, der überall herumstreifte, Pilze suchte oder die Flora und Fauna überwachte.
»Darum fahren wir morgen zurück nach Zürich«, sagte Christian, »vielleicht kommen wir im Oktober dann wieder, wenn Rita wieder aufgetaucht ist.« Er steckte sich eine weitere Gauloise an.
Alle wünschten uns viel Erfolg und bemitleideten Christian nochmals ausführlich.
»Niemand versteht die Frauen«, fügte Léon noch hinzu.
»Du schon gar nicht«, gab Marie zurück.
»Rita wirkte gar nicht bekümmert, als sie im Sommer da war«, berichtete Eliane Gougeaud, die Jeans und eine weite, grün schillernde Seidenbluse trug, »wir waren einmal in Aix zum Einkaufen. Sie war bester Dinge. Ich verstehe das nicht.«
»Niemand versteht es«, seufzte Christian.
»Grondin sagt, es ist kein Verbrechen im Spiel«, sagte Marie, »er sucht nach einer gänzlich neuen Theorie.«
»Die Theorie des Verschwindens«, warf Jean ein.
»Es gibt keine Theorie des Verschwindens«, brummte Christian.
Jean entschuldigte sich für seine Frivolität.
In diesem Augenblick kamen Nora und Jeannine die Schlossgasse herunter. Natürlich hatten sie nichts gefunden. Sie hatten sich auch bei den Ferienwohnungsbesitzern erkundigt. Aber die vermieteten ja nicht unter einer Woche.
»Weit und breit kein verdächtiger Südländer«, erklärte Nora, als sie sich einen Stuhl holte und sich an das Tischchen drängte.
»Wir haben uns inzwischen hier erkundigt«, berichtete ich, »niemand hat jemanden gesehen.«
»Es kann sich höchstens noch einer in einem Keller versteckt haben«, meinte Léon, der Teilzeitküster.
»In einem eleganten Anzug mit Krawatte?«, meinte Nora.
»Man hat alles schon gesehen.«
»Könnte er in der Kirche sein?«, fragte Jeannine.
»Abgeschlossen. Und ich habe die Schlüssel«, antwortete Léon.
»Es gibt natürlich tausend Orte, wo man sich verstecken kann, wenn man wirklich will«, gab Jean Gomez zu bedenken.
Nora seufzte und bestellte sich einen Kaffee.
Jeannine sagte: »Ich geh mal packen.«
Ich wunderte mich schon, wie sie es einrichten konnte, so plötzlich nach Berlin zu verreisen. Aber sie hatte ja ein ganzes Wochenende vor sich.
»Ein hübsches Dörfchen«, summierte Nora ihre Eindrücke, als der Kaffee gekommen war.
»Das war einmal ein Dorf«, entgegnete Jean, »jetzt
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