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P.M. Manetti lesen oder Vom Guten Leben

P.M. Manetti lesen oder Vom Guten Leben

Titel: P.M. Manetti lesen oder Vom Guten Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
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ist es noch eine Ferienkulisse. Zum Glück ist Apt nahe, da funktioniert alles noch. Doch auch da schließen im Winter die meisten Hotels.«
    »Ich habe gehört, einige Junge kommen jetzt zurück«, berichteteEliane, »sie wollen hier einen Bio-Hof mit Gästezimmern eröffnen.«
    »Und dazu noch ein paar Esel«, ergänzte Jean mit einem spöttischen Zucken um den Mund.
    »Die Jungen kommen zurück, weil es immer weniger Jobs in den Städten gibt«, meinte Marie.
    »Aber es gäbe genug zu tun«, ergänzte Jean.
    »Die spinnen – alle«, brummte Léon in einem definitiven Tonfall.
    »Nein, nein«, wehrte sich Eliane, »das ist eine gute Idee.«
    »Es gibt nur leider schon sehr viel Agritourismus«, gab Marie zu bedenken.
    »Agritourismus ist nicht die Antwort«, meinte auch Jean, »das führt nur dazu, dass alle im Naturschutzgebiet herumtrampeln und die Tiere erschrecken.«
    »Gibt es hier Schlangen?«, fragte ich.
    »Na klar«, erklärte Jean genüsslich, »jede Menge Vipern und Nattern. Alle völlig harmlos, wenn man eben nicht hirnlos herumtrampelt. Nur dumme Touristen werden gebissen. Ich habe schon viele gesehen, hatte aber noch nie Probleme.« »Ohne Touristen und auswärtige Hausbesitzer wäre Caseneuve schon lange verfallen«, sagte Marie.
    »Die Franzosen haben absolut keinen Sinn für traditionelle Häuser«, beklagte sich Eliane, »sie bauen überall ihre schrecklichen Pavillons mit Swimmingpool. Sie haben keinen Gemeinsinn.«
    »Dafür haben wir Sarkozy«, warf Jean ein.
    »Ja, das ist bitter«, meinte Eliane.
    Ich hatte schon seit einiger Zeit den Eindruck gehabt, dass das Gespräch sich erschöpft hatte. Aber eigentlich war es sehr schön in dieser Gasse, und einfach nur stumm dasitzen konnte man ja auch nicht. Also plapperten wir halt noch eine Weile weiter.
    Als wir uns dann verabschiedeten, versicherten uns alle nochmals, dass sie die Augen offen halten würden. Man solle doch umgehend anrufen, wenn Rita wieder aufgetaucht wäre.

11.
    Wir brachten Jeannine und Nora zum Flughafen Marseille, dann saßen Christian und ich in seinem weichen Citroën und rasten über die Rhônetal-Autobahn. Das Wetter war gut, ideal für Ferien in Südfrankreich.
    Doch Christian war in einer bedrückten Stimmung.
    »Wieso nimmst du dir nicht noch eine Woche Urlaub?«, fragte ich ihn auf der Höhe von Orange.
    »Kann ich nicht, ich muss die Maturanden verabschieden. Peter Morgenthaler, der Rektor, ist krank.«
    »Was hat er denn?«
    Christian lächelte müde. »Eine Erschöpfungsdepression – aber das muss unter uns bleiben. Er macht einen Erholungsurlaub in Sils.«
    »Und
ist
er in Sils?«
    »Du meinst …?«
    »Ja klar. Was ist denn sein Fach?«
    »Germanist.«
    »Da hast du’s!«
    An der nächsten Raststätte telefonierte Christian mit dem Hotel Waldhaus in Sils, und da war natürlich weit und breit kein Peter Morgenthaler, weder angekommen noch abgereist.
    »Jetzt wird’s wirklich unheimlich«, sagte er bei Kaffee und Croissant im Autobahnrestaurant.
    Ich hatte mir inzwischen Nougat von Montélimar gekauft.
    »Wir haben es mit einer echten Desertionswelle zu tun«, fuhr er fort, »wenn ich es mir genau überlege, gab es bei Peter überhaupt keine Anzeichen eines Burn-out. Er war immer besten Mutes, wollte ein System von Studienwochen einführen, Umweltschutz und soziales Verantwortungsbewusstsein als Themen aufnehmen, der Schule ein neues Profil geben. Er fühlte sich darin vom Kollegium voll unterstützt. Wir mochten – mögen – ihn.«
    »Vielleicht sah es in seinem Innern ganz anders aus.«
    »Du meinst den Abgrund, den Horror.«
    »Jetzt redest du auch schon so. Zugegeben, wir gehen aufdünnem Eis. Jederzeit kann eine ekelhafte Krankheit zuschlagen – Krebs, ein Hirnschlag, eine Depression. Plötzlich fühlen wir uns einsam und unverstanden, alle Freunde werden uns fremd. Wir merken, dass wir gar keine haben. Wir finden alles sinnlos, vergeblich. Wir fühlen uns überrollt. Kann schon bei der nächsten Computerpanne auftreten. Und dann gibt’s noch den Tod.«
    »Von allem, was du da gesagt hast, um mich etwas aufzumuntern, ist das Letzte noch das Lustigste.«
    »Wäre das Lustigste«, korrigierte ich ihn.
    Christian starrte mich verdutzt an. »Ist das jetzt wieder einer dieser Manettismen?«
    »Ich habe Manetti doch noch gar nicht gelesen.«
    »Aber du hast inzwischen wie ich einiges aufgeschnappt. Ich habe seltsamerweise seit gestern eine deutlich klarere Vorstellung davon, was da etwa drinstehen könnte.

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