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P.M. Manetti lesen oder Vom Guten Leben

P.M. Manetti lesen oder Vom Guten Leben

Titel: P.M. Manetti lesen oder Vom Guten Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
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In Maries Bar überkam mich diese Gewissheit. Die Gespräche waren sehr interessant.«
    »Die Kaninchenplage im Regionalpark? Die kranken Platanen? Die toten Dörfer? Die invasiven Arten? Léons Kampf um den zerbröckelnden Kirchturm?«
    »Ja, und warum das alles in Caseneuve besprochen wird. Wenn man bedenkt, was Caseneuve heißt. Seit 1200 Jahren.«
    Ich musste lachen und war froh, dass Christian wieder fast der Alte war. »Wann habt ihr eigentlich euer Haus dort gekauft?«
    »1979. Ich habe es einem Basler Paar abgekauft, für das es zu unpraktisch wurde. Unser Traum von einem Häuschen in der Provence wurde wahr – gerade rechtzeitig, um den Backlash der achtziger Jahre zu überstehen. Es war eine herrliche Zeit. Ich habe nie wieder in meinem Leben so viel gearbeitet. Wir hatten immer Freunde auf Besuch. Moritz Leuenberger war da, Niklaus Meienberg, die Fehrs, Markus Werner, Christoph Kuhn, Laure Wyss …«
    »Hugo Loetscher?«
    »Nein, der nicht, der wollte immer nur nach Brasilien.«
    »Auch Roberto Manetti nicht?«
    »Das frage ich mich die ganze Zeit. Gut möglich, dass ihn einmal jemand mitgebracht hat. Auf jeden Fall hat er keinen bleibenden Eindruck hinterlassen.«
    »Das scheint sein Trick gewesen zu sein. Überall dabei, nie bemerkt. Er war das Gespenst der Epoche.«
    »Der ideale Geheimagent«, ergänzte Christian grinsend. Wir machten uns wieder auf den Weg.
    Südlich von Grenoble sagte ich zu Christian: »Ich bin ganz sicher, dass du deine Rita wieder zurückbekommst. All das ist nur eine Komödie.«
    »Ich versuche es zu hoffen.«
    Vielleicht saß ja der Horror nicht in Zürich, sondern im Ferienhaus in Caseneuve. Oder er flog jetzt gerade im Handgepäck von Nora und Jeannine nach Berlin. Als wir bei Genf waren, riefen sie an und gaben bekannt, dass sie gelandet waren. Sie hatten eine Adresse in Charlottenburg, wo sie Thomas Schneider zu finden hofften.
    Nach Genf wurde der Verkehr dicht und zähflüssig. Wir sahen den Mont Blanc hinter dem See, das ganze Alpenpanorama. Unten am See die Villen der Milliardäre aus Kasachstan, Dubai, Usbekistan und Russland. Sie kommen zu uns wegen der sozialen Stabilität, die sie in ihren Heimatländern gezielt untergraben, und machen bei uns nicht in der Feuerwehr mit. Auf der andern Seite Rebberge, Fabriken und Shopping-Center.
    »Würdest du es mir sagen, wenn etwas zwischen dir und Rita ihr Verschwinden ausgelöst hätte?«, fragte ich Christian bei der Ausfahrt Morges.
    Er sagte lange nichts. »Nein. Ich kenne dich ja kaum.«
    »Das stimmt.«
    »Ich sage dir nur, dass du davon ausgehen kannst, dass ich mir nicht vorstellen kann, dass der Auslöser ihres Verschwindens in unserer Beziehung liegt.«
    »Wie lange seid ihr schon zusammen?«
    »Seit 1975. Das sind 35 Jahre.«
    »Da muss es eine Krise gegeben haben.«
    »Du meinst: Zwei Menschen können nicht einfach 35 Jahre zusammenleben ohne Krise?«
    »Es klingt unwahrscheinlich.«
    »Du könntest Nora fragen, sie kennt von Jeannine alle Geheimnisse.«
    »Ich kenne Nora nicht gut genug.«
    Christian seufzte. »Willst du es wirklich wissen?«
    »Nein – es geht mich nichts an. Du hast recht. Aber ich werde alles tun, um Rita zu finden. Und alle andern. Das ist jetzt meine Sache.«
    »Danke.«
    »Keine Ursache. Ich tue es für mich. Ich bin ein Teil dieser Geschichte.«
    »Du glaubst auch an die Geschichte?«
    »Ich glaube, sie macht uns aus. Was haben wir sonst noch?«
    »Wir werden alt.«
    Wir schwiegen bis Fribourg. Christian war müde und musste sich auf den Verkehr konzentrieren. Die Gegend war hübsch, voller schwarz-weißer Kühe.
    »Ich glaube, Manetti ist toxisch«, sagte Christian dann, »es gibt keinen vernünftigen Grund, die Geschichte aufzurollen. Ich verspreche mir keinen Erkenntnisgewinn mehr.«
    »Die Geheimdienstfichen haben einiges geleistet«, neckte ich ihn.
    »Das waren idiotische Beobachtungen von Vollidioten. Willst du sie als deine Geschichte akzeptieren?«
    »Natürlich nicht. Wir haben hier eine typische Max-Frisch-Situation. Wer sind wir? Welche Beschreibungen nehmen wir an? Fremde oder eigene? Was bleibt, wenn alle Äußerlichkeiten wegfallen?«
    »Wir haben Verpflichtungen.«
    Die Muschel schloss sich. Aber eigentlich hatte er recht. Wir sind nicht hier, um uns zu amüsieren. Allein schon darum, weil man sich nicht endlos amüsieren kann. Wir haben einen Job zu tun. Das Problem besteht nur darin, ihn korrekt zu definieren. Vielleicht: die Zivilisation erhalten? Oder ist das zu hoch

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