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P.M. Manetti lesen oder Vom Guten Leben

P.M. Manetti lesen oder Vom Guten Leben

Titel: P.M. Manetti lesen oder Vom Guten Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
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kommenden Aufstands.)
    Der Text beginnt ziemlich pathetisch mit: I AM WHAT I AM. Und dann folgt eine Kritik des isolierten Konsumsubjekts. Ich fragte mich, ob die Verfasser sich bewusst waren, dass der Satz »Ich bin, der ich bin« eine Selbstdefinition Gottes, des alttestamentarischen Gottes ist, so wie er im Buch Exodus aus dem brennenden Dornbusch redet. Wenn der Mensch sich zu Gott erklärt, dann verdammt er sich logischerweisezu ewiger Einsamkeit. Gott ist sozusagen das Modell eines autistisch verkümmerten Konsumenten, eines Behinderten. Darum sagen sie dann: »Der Behinderte ist das Modell der kommenden Bürgerschaft. Die Vereine, die ihn ausbeuten, handeln nicht ohne Vorahnung, wenn sie gegenwärtig für ihn das ›Existenzgeld‹ fordern.« Da werden aber die Vertreter des garantierten Grundeinkommens keine Freude haben! Der Kapitalismus wird als Leiche beschrieben, die wir nicht loswerden können. Das erinnerte mich an Django, wie er den Sarg durch die Wüste schleppt. Die Erpressung mit sinnloser, ja nicht einmal vorhandener Arbeit, das Elend der Konsumfamilie, all die Ängste vor Fremden, Ausbrüchen und eigener Initiative werden heraufbeschworen. Dann das Ungenügen der linken Organisationen, der Horror vor den Grünen, den Ökodörfern, den Gewerkschaftsbürokraten, der Abscheu gegen den Organisationsfetischismus überhaupt: All das hatte ich um 1975 schon einmal irgendwo gelesen. Ich las es durchaus mit Vergnügen. Organisationen zu hassen, macht Spaß. Sozi-Bashing ist psychisch entlastend. Aber dann kommt nichts. Ein Aufruf, »Kommunen« zu gründen: in Bars, in Treppenhäusern, bei der Arbeit. Was für Kommunen, um Himmels Willen? Sind das vielleicht wieder die allgegenwärtigen temporären autonomen Zonen von Hakim Bey? Der Kommunismus der Bescheidenen? Was heißt schon autonom? Was machen diese Kommunen? Nichts, was nicht auch eine beliebige Bürgerinitiative machen könnte.
    Ein typischer Null-Vorschlag, eigentlich nur ein Versuch, Verwirrung zu schaffen, die Leute zu verarschen. Sobald man konkreter würde, wäre man wieder ein Sozialdemokrat oder ein Grüner, oder ein Mitglied von Greenpeace, von Attac, einer Genossenschaft, eines Vereins. Man würde sich auf etwas einlassen müssen und seine heilige Autonomie einbüßen. Denn ohne Verbindlichkeiten gibt es nur das herumschwirrende (sich revolutionär und superfrei wähnende) atomisierte Subjekt – zurück auf Feld 1: I am what I am. Nun halt autonom. Jeder Anti-Verein wird zum Verein. Es gibt keine Alternative zur Hölle von Sitzungen, Organigrammenund Geschäftsstellen. Jede Alternative muss mit den Begriffen des Ist-Zustands begründet werden. Schade, aber wahr. Vor einem solchen harmlosen Vorschlag hätte die Polizei vielleicht Angst, aber nicht vor Leuten, die nur lahm fragen: Wie werden wir uns wiederfinden? Immer dort, wo drei von uns sich treffen? Im Paradies, zur Linken Gottes? Im brasilianischen Dschungel?
    Trotzdem hatte ich den Text gerne gelesen. Wahrscheinlich, weil er liebe alte Meinungen bestärkte. Das war gefährlich. Aber so sind halt Süchte.
    Ich legte das Manifest zur Seite und legte mich nach dem Halt in Frankfurt hin. Ich schlief sehr gut und träumte vom Wiederfinden der physisch und politisch Verschwundenen.
    In Berlin ging ich die Sache sehr umsichtig an. Ich telefonierte nicht, deponierte meine Reisetasche in einem Schließfach und nahm die S-Bahn nach Charlottenburg. Ich hatte noch in Zürich mein weißes Leinenjackett gegen eine dunklere Jacke eingetauscht, eine Sonnenbrille und zusätzlich eine schwarze Basketballmütze mitgenommen.
    Ich hatte überraschend gut geschlafen, brauchte aber einen starken Espresso, um auf Touren zu kommen. Ich wusste genau, wo ich hin wollte.
    Schließlich saß ich im Café Reet an einem kleinen Park. Von dort aus konnte ich den Hauseingang beobachten, wo Cora Mink und Gerda Ax wohnten. Die Gegend war mir fremd, sah aber ziemlich gemütlich aus. (Wie schon im Falle von Suvereto, Caseneuve und dem Rietli-Quartier in Zürich verweise ich auf Google-Maps – das ist besser als jede Beschreibung. Schade um ein Stück Literatur: keine Ortsbeschreibungen mehr!)
    Es war gegen zehn Uhr. Die Gäste waren intensivstens am Frühstücken. Ich bestellte mir ebenfalls ein Großes Frühstück und einen Cappuccino. Es lag die
Berliner Zeitung
aus, die mir zur zusätzlichen Tarnung diente.
    Bei Mink und Ax regte sich nichts.
    Ich verbrachte die Zeit damit, ein Interview mit einem

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