P.M. Manetti lesen oder Vom Guten Leben
WienerÖkonomieprofessor namens Höllmann zu lesen. Es war sehr vergnüglich. So sagte Höllmann zum Beispiel: »Die Zusammenhänge sind ja auch völlig absurd, wenn man sich Folgendes überlegt: Der Staat verschuldet sich bei Banken, um die Zinsen der Schulden, die er bei den Banken hat, zu begleichen oder um die Banken zu retten, bei denen er selber Schulden hat. Da versteht ja keiner mehr, wer eigentlich bei wem Schulden hat und was Schulden eigentlich sind.« Und dann verkündete er cool: »Alle Währungen werden verschwinden, weil sie technisch nicht mehr funktionieren können. Ich schätze, dass es schon 2011 so weit sein wird.«
Ich war zwar nicht ganz so optimistisch wie Dr. Höllmann, aber es schien mir, dass die Termine für grundsätzliche Veränderungen knapp angesetzt werden mussten. Wie sollte es dann weitergehen? Auch hier wusste Höllmann Rat: »Wir brauchen mehrere unabhängige Rechnungskreise in Form spezialisierter elektronischer Gutscheine.« Und dann schlug er eine Inventur aller brauchbaren Güter und eine gleichmäßige Verteilung auf alle vor, damit keine sozialen Unruhen ausbrachen. Ungleichheit würde ja logischerweise umgehendst weltweite Unruhen zur Folge haben …
Da sah man, dass es sich um einen Professor handelte.
Rund um mich herum frühstückten die Menschen weiter ausschweifend. Es gibt kein Land mit einem solch ausgeprägten Frühstückskult wie Deutschland. Offenbar verlangte der deutsche Alltag umfassende Stärkung, bevor man ihn in Angriff nehmen konnte. Er sah aber gar nicht so hektisch aus, hier in Charlottenburg.
Ich las, dass die Grünen hier in Berlin bei 28 Prozent waren. Sie könnten sogar mit der Linkspartei zusammen eine Mehrheit bekommen. Und dann ab mit Höllmann in eine Postwachstumsgesellschaft! Ganz ohne soziale Unruhen.
Sie kamen die Straße entlang aus östlicher Richtung. Sie hielten vor dem Hauseingang an, kontrollierten die Namen auf der Klingelanlage. Klingelten.
Nichts geschah. Grondin überquerte die Straße und spähte zum dritten Stockwerk empor. Sein Partner aus Florenz, einzierlicher, südländisch wirkender Mann in einem korrekten grauen Anzug, blieb beim Eingang stehen. Wahrscheinlich hatten sie den Morgenflug von Marseille genommen. Ich hatte sie erwartet. Was ich nicht wusste, war, ob sie dienstlich oder privat hier waren.
Für Grondin war es ein Kinderspiel gewesen herauszufinden, dass Nora und Jeannine nach Berlin geflogen waren – obwohl wir nie davon gesprochen hatten. Den Kontakt mit seinem italienischen Kollegen hatte er wahrscheinlich schon am Freitag, nach unserer Ankunft in Apt, hergestellt. Es war auch keine Beschattung mehr nötig gewesen, da wir ja schon von Grondin beschattet waren.
Nun war ich gespannt: Würden sie sich Zutritt zur Wohnung verschaffen oder anderswohin gehen?
Auf jeden Fall telefonierten sie eifrig herum.
Aber die Frauen waren ausgeflogen.
Sie diskutierten eine Weile. Dann beschlossen sie, dass sie einen starken Espresso brauchten, um auf Touren zu kommen und wandten sich direkt in Richtung meines Cafés.
Ich hatte vorsichtshalber schon bezahlt und verließ das Café ohne auffällige Hast in nördlicher Richtung.
Als sie sich installiert hatten, kam ich in einem weiten Bogen durch den Park zurück und setzte mich auf eine Bank, die teilweise durch Büsche und Bäume getarnt war. So konnte ich sie zwar nicht dauernd im Auge behalten, aber doch kontrollieren, ob sie noch dort waren.
Sie hatten sich genau an den Tisch gesetzt, den ich verlassen hatte, und blätterten sogar im selben Exemplar der
Berliner Zeitung
, die ich liegen gelassen hatte. Grondin würde sich sicher über Höllmann freuen – falls er Deutsch konnte (was man nicht ausschließen durfte).
Nach einer Weile gesellte sich ein größerer Mann zu ihnen. Er hatte schüttere blonde Haare, ein breites Gesicht, einen fleischigen Mund. Er trug ein graues Jackett und eine Sonnenbrille. Sie begrüßten einander herzlich. Offensichtlich hatten sie Verstärkung durch einen deutschen Kollegen bekommen. Sie unterhielten sich eine Weile, telefonierten, schüttelten die Köpfe, nickten verständnisvoll.
Endlich rafften sie sich auf und gingen zum Hauseingang hinüber. Sie läuteten noch einmal und gingen dann hinein. Ich brauchte wieder einen Espresso und verschob mich ins Café Reet zurück.
Dieses Mal setzte ich mich in den Innenraum, nicht auf die Terrasse: Man soll sein Schicksal nicht unnötig herausfordern.
Meinen Espresso erhielt ich sofort. Ich
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