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P.M. Manetti lesen oder Vom Guten Leben

P.M. Manetti lesen oder Vom Guten Leben

Titel: P.M. Manetti lesen oder Vom Guten Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
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bezahlte.
    Eine halbe Stunde später kamen die drei Polizisten wieder heraus. Der deutsche Kollege hatte die Führung übernommen. Die Gruppe wandte sich nach Osten.
    Ich stand auf und spähte um die Ecke. Sie bestiegen einen grauen BMW und fuhren davon.
    Ich hatte eine Ahnung, wohin sie nun fuhren.
    Die Ahnung führte dazu, dass ich eine halbe Stunde später von einem Sushi-Lokal in der Nähe des Kollwitzplatzes aus die Hausnummer 124 eines frisch renovierten Hauses von der vorletzten Jahrhundertwende beobachtete. Unterwegs war ich rein zufällig an einem dieser Theatermaskenläden vorbeigekommen und hatte mir einen Schnauz besorgt, den ich nun trug.
    Was ich beobachtete, war die offizielle Adresse von Elsa Manetti. Es hätte mich sehr gewundert, wenn sie da gewesen wäre. Ich hatte immer noch die fixe Idee, sie müsse ein Schloss in Mecklenburg besitzen, wo die Flüchtlinge gesammelt, irgendwie prozessiert und dann weiterverfrachtet wurden.
    Beim fünften Sushi kamen die drei Kollegen, läuteten, gingen hinein und kamen nach zehn Minuten wieder heraus. Nun schienen sie sichtlich ratlos zu sein. Sie redeten eine Weile miteinander, dann zeigte der deutsche Kollege auf mein Lokal und sagte so etwas wie: Da isst man nicht schlecht, und zudem können wir den Eingang im Auge behalten.
    Das Lokal hatte einen Hinterausgang, den ich nun benützte. Ich durchschritt den Hinterhof, begrüßte eine freundliche Tigerkatze und kam auf der andern Seite auf eine andere Straße, die zum Kollwitzplatz führte.
    Ich umrundete den Block, sah weiter hinten das Sushi-Lokal, wandte mich nach rechts zum Park und fand eine passende Bank, von der aus ich wenigstens hie und da die Lage beobachten konnte.
    Wie weiter? Ich hatte große Lust, das ganze Katz- und Mausspiel abzubrechen und einfach nach Hause zu gehen. Offensichtlich gab es nur diese Spur, und die Polizei kannte sie. Aber wusste sie auch weiter? Hatten sie in der Wohnung Hinweise auf das unheimliche Schloss im Mecklenburgischen gefunden?
    Eine Mutter mit Kind und Kinderwagen setzte sich zu mir. Sie las den
Spiegel
. Das Kind war ruhig.
    Eine andere Option bestand darin, dass ich meinen alten Bekannten aus der DDR-Zeit, Dieter Wuttke, kontaktierte und versuchte, mit ihm zusammen weiterzukommen. Seine Adresse hatte ich nicht – die ließ sich aber leicht per Internet herausfinden. Dieter und seine Frau Angêla hatte ich in den achtziger Jahren kennengelernt, sie waren ein nettes Paar, immer hilfsbereit und so gar nicht regimefeindlich. »Wir hatten ja immer alles«, pflegte Dieter zu sagen, »nur das mit dem Reisen, das machte uns schon zu schaffen.« Drei Jahre später standen sie mit ihrem Auto vor meinem Haus: Sie waren auf dem Weg nach Italien und schliefen dann in meinem Wohnzimmer. Dieter verkaufte nun Einbauküchen. Als eingefleischte Anarchisten störte sie die Wende nicht groß, denn für sie waren die Gleichen (oder die gleiche Sorte Leute) an der Macht geblieben. Aus der DDR war ein normales, westeuropäisches Land geworden. Über Revolutionen und Ähnliches konnte man auch in diesem neuen Rahmen nachdenken.
    Was in der DDR geschehen war, war alles andere als eine Revolution, es war eine bloße Normalisierung. Die große Enttäuschung war nicht unbedingt der Untergang des Realsozialismus, sondern die Phantasielosigkeit der Oppositionsbewegung. Man habe keine Zeit für Utopien, sagte Bärbel Bohley. (Kaum hat einer mal eine gute Idee, wird er schon als Utopist abqualifiziert.) Bei allem Respekt für den Mut, sich einem hochgerüsteten Regime entgegenzustellen:Außer ein bisschen Demokratie war nicht viel Neues vorgeschlagen worden. Keine neuen sozialen Strukturen, keine neuen Produktionsformen, keine nachhaltigen Lebensweisen. Nicht einmal: Wenn wir gewinnen, fällt uns noch etwas ein. Dann sind uns die ewigen Entschuldigungen wegen unserer Ohnmacht noch lieber. Es war alles so langweilig. An einer Berliner Eisenbahnbrücke steht eine noch gut sichtbare Losung: »Wir wollten nicht ein Stück vom Kuchen, wir wollten die ganze Bäckerei!« Was passiert ist, ist, dass sie die ganze – vielleicht nicht optimal organisierte – Bäckerei verloren haben und nun bei Aldi einkaufen.
    Während ich über Dieter und Angêla nachdachte, verließ mich die Mutter. Nur ihren
Spiegel
hatte sie vergessen. Ich schlug ihn dort auf, wo sie mit einem Eselsohr markiert hatte, wie weit sie gekommen war, und da stand dann eine Adresse in der Nähe von Güstrow auf dem Seitenrand.
    Vielleicht

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