P.M. Manetti lesen oder Vom Guten Leben
hatte ich jetzt einen Vorsprung.
Ich begab mich zum Hauptbahnhof und war drei Stunden später im hübschen Güstrow.
Dort nahm ich einen Bus nach Paltow, danach das Taxi zum alten Herrenhaus am Lütziner See.
16.
Es war ein mächtiges Haus mit Walmdach, umgeben von ausgebauten Scheunen, umgenutzten Stallungen und ehemaligen Gesindehäusern. Ein weißes Bootshaus blinkte unten am See auf. Ein imposanter Baumbestand verdeckte einen Teil der Bauten.
Kaum hatte das Taxi angehalten, kam Thomas Schneider auf mich zu.
»Entschuldige das ganze Drum und Dran«, sagte er, »aber es ging nicht anders. Wir mussten sicher sein, dass du keinen Überwacher mitbringst.«
»Ist das nun Elsas Schloss?«, fragte ich.
»In einem gewissen Sinn. Sie hat es finanziert, aber es läuft auf Lutz.«
Er führte mich ins Haus: Schon im Korridor hingen Kunstwerke, die mir bekannt vorkamen. War das nicht ein Mirò? »Wir sind gerade beim Tee«, erklärte Thomas, »du kannst deine Tasche hier stehen lassen.«
Er führte mich in den Garten hinaus, wo fünf Personen unter einem weiß-roten Sonnenschirm an einem weiß gedeckten Tisch saßen.
Thomas stellte sie mir alle vor: keine bekannten Gesichter. Herr und Frau Lutz hießen mich willkommen – sie waren beide über sechzig, sehr gut erhalten, gediegen angezogen. Ihr Sohn Geri, 37, war gerade segeln gewesen und davon im Gesicht noch etwas gerötet. Dann waren da noch Douglas Mortimer – ein Kunsthändler aus London – und seine Assistentin Claire Morley, er um die 65, sie um die 35, dynamisch und offensichtlich an Geri interessiert. Alle trugen helle, teure Kleider. Douglas hatte sich tatsächlich wie in Rosamunde Pilchers Fernsehfilmen einen leichten hellblauen Pullover über die Schultern drapiert.
Es gab warmen und kalten Tee, Scones und andere Küchlein, kleine Sandwiches und Leberwurst nach Gutsherrenart.
Die Gesellschaft redete von Kunst, irgendwelchen wichtigen Ausstellungen, Trends und Transaktionen, horrenden Geldbeträgen. Englisch und deutsch durcheinander. Ich verstand kein Wort (aber alle Wörter).
Niemand interessierte sich für mich. Ich mich aber für die Sandwiches.
Thomas warf mir einige begütigende Blicke zu. Ich nickte hie und da, Verständnis heuchelnd. Ich stellte fest, dass der Wind schwach war. Vielleicht gab es noch ein Gewitter.
Thomas’ Mobilfon brummte, und er schritt weg. Dann winkte er mir.
»Kennst du eine Frau Doktor Knallberger?«
»Ja, Marcel Lüthis Psychotherapeutin. Kallberger. Marcel ist ein Leser. «
»Ist das der Lüthi, der dem
Magazin
ein Interview gegeben hat?«
»Genau. Ich habe ihn in der Klinik besucht.«
»Nun ist diese Frau Doktor Kallberger in Berlin, im Café Reet.«
»Und was tut sie dort?«
»Sie beobachtet den Hauseingang.«
»Und was ist das Problem?«
Thomas seufzte theatralisch und schüttelte den Kopf. Er tippte auf sein iPhone, deckte das Mikrofon ab und zischte mir zu: »Wir stoppen jetzt. Ja, es ist Schluss.«
»Ich fand sie ganz nett«, zischte ich zurück, um ihn zu ärgern.
Thomas stutzte, dann seufzte er: »Also, noch Kallberger. Aber vorsichtig. Dann ist endgültig Schluss.«
Er informierte Dr. Kallberger und steckte das Gerät in sein weißes Leinenjackett.
Auf dem Weg zurück an den Tisch fragte ich nach: »Womit ist Schluss?«
»Später, später. Nimm noch einen Tee.«
Ich nahm noch einen Tee und ein Sandwich mit Leberwurst – alle andern schienen dieses hervorragende Industrieprodukt zu meiden. Es türmten sich Wolken im Westen auf.
»Ich muss das Boot noch rausholen«, erklärte der sportliche Geri.
Unaufgefordert schloss sich Claire ihm an.
»Art?«, fragte mich Douglas, als eine Gesprächspause entstanden war.
»Literature.«
Sein Interesse erlosch blitzartig.
Ich erfuhr, dass Elsa eine Ausstellung in New York plante. Zudem würden Werke an Douglas in London verkauft werden. Bevor wieder größere Beträge genannt wurden, wandte sich Frau Lutz an Thomas:
»Lieber Thomas, vielleicht könntest du Herrn Lehmann sein Zimmer zeigen?«
»Sehr gerne, Chantal.«
Schon auf dem Weg begann er mit den Erklärungen. »Das hier ist deine Endstation. Die letzte Gruppe ist gestern abgereist, auch Nora. Alle sind wohlauf, kein Grund zur Sorge. Du kannst morgen zusammen mit Frau Kallberger nach Zürich zurückkehren.«
»Warum hast du mich denn überhaupt noch hierher gelotst?«
»Um dich zu bremsen. Um alle Beteiligten zu beruhigen. Um die Polizei abzulenken. Hübsch hier, nicht?«
Ich ergriff
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