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P.M. Manetti lesen oder Vom Guten Leben

P.M. Manetti lesen oder Vom Guten Leben

Titel: P.M. Manetti lesen oder Vom Guten Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
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ist ewiges Leben real? Sehr viele kurze Leben am selben Ort statt eines sehr langen an vielen Orten. Paris war ein Lebenskonzentrat. Aber etwas Besonderes fand hier dennoch nicht statt.
    Das Pantheon leuchtete. Lag da nicht auch Sartre? Nein, das war André Malraux.
    Ich ließ mir die Adresse für die hübsche kleine Wohnung in der Alfama geben. David und Sally informierten mich, wo ich essen, einkaufen, trinken und Musik hören konnte und wo ich internationale Zeitungen bekam.
    »Und es gibt gute und günstige Zigarren«, betonte David.
    »Sartre ist tot, und nun haben wir Houellebecq«, begann Sally, die übrigens damals Literatur studiert hatte und wie alle mit dem Strukturalismus geplagt worden war. David war ein Psychoanalytiker, der noch bei Lacan selbst studiert hatte und etwas von Verschiebungen verstand. Beide hatten die Postmoderne gründlich verpasst. Aber die war ja jetzt auch schon wieder vorbei. Wir reden nun wieder vernünftig und treten Gewerkschaften bei.
    Houellebecq hatte einiges mit Manetti gemeinsam. Seine Hauptfiguren waren evasiv, elusiv und ätherisch, mehr weggeschwemmt als getrieben von nachlassendem Begehren. Alles endet nicht einmal in der Enttäuschung, sondern imErschlaffen und Verschwinden. Die Essenz des guten Lebens stirbt mit seiner Definition. Man liest Höllbeck mit dem gleichen Genuss wie Manetti. Wie er ist er ein falscher Prophet. Er streift alles und hinterlässt keinen Abdruck. Echte Unterhaltung also. Man kann gar nicht tief fallen, weil unten nichts ist, nicht mal die Hölle.
La carte et le territoire
hatte ich nicht gelesen. Ich beschloss, es am Bahnhofskiosk zu kaufen.
    David hatte ihn auf seinem Kindle.
    To hell with hellbeck!
    »Es gibt nicht genug Jobs für all diese jungen Leute«, stellte Sally mit Blick auf die Passanten fest. Sie waren alle Quantenphysikerinnen und Informatikingenieurinnen.
    »Meinst du, sie wären dann ungefährlicher?«, gab ich zurück.
    »Es wird nie mehr genug Jobs geben, jedenfalls nicht entlohnte«, sagte David, »wir werden lernen müssen, einfach zu
leben
. Ohne Kompensation. Ohne Bewertung.«
    »Ja, das
einfache
Leben«, versetzte ich.
    »Vielleicht können wir es noch ein paar Jahre auf Distanz halten«, scherzte Sally.
    »Wir werden so oder so überrollt«, sagte ich.
    Von den Ereignissen, von den Migranten, von den angekündigten und anderen Katastrophen, vom Nichtmehrverstehenkönnen, vom Glück. Alles ist viel zu komplex, zu verwoben, zu mächtig. Niemand hat nichts unter Kontrolle. Schuld ist auch niemand. Und wenn: Wo wäre der Richter?
    »Da haben wir ja ein richtiges
Fin de Siècle
-Denken«, quittierte das David.
    Ich stimmte ihm zu.
    »Es ist ein schöner Moment, wir dürfen uns glücklich schätzen, dabei zu sein. Ich habe mich immer über die Romane geärgert, die offen enden. Diesmal erleben wir den Schluss, die Abwicklung. Das Happy End.«
    »Ich bin da nicht so optimistisch«, unkte Sally.
    Was wusste sie!
    »Das Ende ist schon vorbei«, gab ich zurück, »wir haben esnur noch nicht bemerkt. Wir sortieren jetzt nur noch die ungedeckten Schecks.«
    Wir lachten unbeschwert. Dann bummelten wir zurück zur Place St. Michel, wo meine amerikanischen Freunde in ihr romantisches Apartment hochgingen, ich die Metro zurück in mein Hotel nahm, und die Quantenphysikerinnen und Gehirnchirurginnen zurück in die Banlieues fuhren, um noch einige Autos anzuzünden.

22.
    Ich saß an der Place des Vosges, beobachtete den Eingang zu Elsas Wohnung und las die
Libération
. Die Architektur wird leichter, »zerbrechlicher«, weniger »fertig gebaut« als nur einmal so »hingestellt« und ist permanent im Umbau. Sagte Rem Koolhaas in einem Interview nach der Verleihung des Goldenen Löwen der Biennale von Venedig über ein Quartier in Peking: »Das ist zugleich schön, tragisch, zerbrechlich – und die Bewohner bewohnen es weiter auf eine anrührende Weise.« Es mussten keine massiven Gebäude mehr hingebaut werden, es ging nur noch darum, die Menschen bei dem, was sie so taten, vor der Witterung zu schützen. Willkommen in China, dem Land des absoluten Mehrwerts. Wenn die ChinesInnen erst merkten, dass es nicht mehr wichtig war, ChinesInnen zu sein, würden sie aufhören zu arbeiten. Darum der verkniffene Nationalismus der Kommunistischen Partei Chinas. Aber die Erosion hatte schon begonnen. Die Teufel trugen längst Prada.
    Weder Grondin noch sonst eine bekannte Person näherte sich Elsas Hauseingang.
    Ich läutete, die Tür summte, ich ging

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