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P.M. Manetti lesen oder Vom Guten Leben

P.M. Manetti lesen oder Vom Guten Leben

Titel: P.M. Manetti lesen oder Vom Guten Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
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Shopping und verschwindet dann wieder in die Steppe.«
    Sie führte mich zu einem breiten, mit einem grünen Filztuch bedeckten Tisch, wo diverse teils aufgerollte Pläne und Skizzen sowie ein offener Laptop lagen.
    »Das hier ist der Plan für die Umgestaltung des Erdgeschosses. Hier haben wir die Lagerräume für Gemüse, hier die Kühlräume für Milchprodukte und Fleisch. Da bauen wir eine Art Refektorium ein – gestaltet als eleganter Esssaal. Hier ist die Wäscherei, hier die Schneiderei. Die alten Kutschengaragen brauchen wir für unseren Kombigas-Lastwagen.«
    »Ihr wollt die Place des Vosges in ein Hotel verwandeln?«
    »Es war immer schon ein Hotel, im ursprünglichen Sinn des Wortes – ein kollektives Wohnhaus. Und das hier sind unsere Ländereien nördlich von Orléans. Sie gehören alle dem Baron d’Ormont. Dreihundert Hektar, mehr als genug.«
    »Für was?«
    »Du bist etwas begriffsstutzig. Du müsstest eben Houellebecq – Michel – lesen. Er ist unser Prophet, unser St. Michel.Was meinst du, was in zehn Jahren in Europa los ist?«
    Ein junger Mann mit lockigem schwarzen Haar und Dreitagebart, gekleidet in einen schwarzen japanischen Seidenkimono, gesellte sich zu uns. Cora umarmte und küsste ihn.
    »Ah, Roger, Siebenschläfer und Baron d’Ormont, das ist Paul – ein Bekannter von Thomas aus Zürich. Ich erkläre ihm gerade unser Projekt.«
    »Die Vergangenheit von Paris ist auch seine Zukunft«, sagte Roger, »mit einigen Retouchen.«
    Roger war wirklich ein knackiger Baron, zwischen dreißig und vierzig Jahre alt. Etwas größer als ich, athletisch gebaut, herzlich und umgänglich.
    »Ihr wollt euch selbst versorgen?«, fragte ich nach.
    Roger tippte locker auf dem Laptop herum, worauf Tabellen und Schemata auf dem Bildschirm erschienen. »Wir haben alles berechnet«, erklärte Roger, »die Finanzierung steht. Umbaukosten, Logistik, Betriebskonzept, Energieversorgung – 1000 Watt pro Person. Die Place des Vosges ist ideal für ein solches Konzept, denn sie besteht aus kompakten Gebäuden um einen ruhigen Innenhof herum und verfügt über Räumlichkeiten für Salons, wo sich alltägliche, persönliche Kommunikation entwickeln kann. Es gibt genügend Platz für diverse Infrastrukturen, sogar für ein kleines Bad. Eigentlich führen wir nur das ursprüngliche Konzept mit ein paar modernen Technologien weiter, aber statt mit Bediensteten betreiben wir es selbst.«
    »Und da machen die Bewohner mit?«
    »Ja klar. Es leuchtet allen ein. Die Leute wollen gerne mitarbeiten. Vielen ist es heute langweilig.«
    »Ich finde das unglaublich. Das ist ja ein Rückfall ins Mittelalter.«
    »Lieber zurück ins Mittelalter, als vorwärts in die Katastrophe«, gab Roger grinsend zurück.
    »Na ja, als Baron …«
    »Das Konzept funktioniert überall, auch in den
banlieues
«, warf Cora ein.
    »Glaubt ihr wirklich, die jungen Leute seien vom Land indie Stadt geflüchtet, um dann wieder aufs Land geschickt zu werden?«
    »Es ist ein anderes Land, eine andere Stadt«, entgegnete Roger, »ich fahr heute noch hinaus, du kannst mitkommen, wenn du willst, dann kannst du mit eigenen Augen sehen, was dort geschieht.«
    »Ich habe gar nicht gewusst, dass Houellebecq sich mit solchen Strategien befasst.«
    »Michel denkt viel über die Zukunft unserer Zivilisation nach«, antwortete Roger, »es geht um eine diskrete Reruralisierung, die zugleich eine neue Urbanität erzeugt. Paris, so wie es heute ist, ist unhaltbar. Die Stadtbewohner beginnen das einzusehen. Sogar Bertrand Delanoë, der Bürgermeister, ist auf unserer Seite.«
    Wir gingen zurück zum Frühstückstisch. Roger fand noch eine Tasse. Wir tranken Kaffee.
    »Ich kann mir nicht vorstellen, dass man eine Großstadt von sieben Millionen Einwohnern einfach auf Selbstversorgung umstellen kann«, gab ich zu bedenken.
    »Kann man«, erwiderte Cora, »selbstverständlich braucht es daneben noch öffentliche Dienste in den
quartiers, arrondissements
und stadtweit. Die Métro kann man nicht selbstverwaltet betreiben. Es braucht Spitäler und Universitäten. Auch die Oper bleibt, und die Museen. Aber das sind nur Garnituren.«
    »Irgendwie geht das alles nicht auf. Ich nehme an, ihr wisst, dass achtzig Prozent der Elektrizität in Frankreich aus AKWs stammen. Überdies wird das Erdöl bald fehlen.«
    Roger nickte. »Ja, klar. Es wird eine andere Zivilisation sein. Wir werden im Winter nicht alle Räume heizen können. Es wird eine Art innere, saisonale Evakuierung geben

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