P.M. Manetti lesen oder Vom Guten Leben
wirklich ging. Eigentlich war es ja auch zu banal und zu offensichtlich.
Wir füllten noch einige Kisten mit Krautstielen, damit sie dann rechtzeitig abgeholt und in der Gemeinschaftsküche an der Place des Vosges zu herrlichen Gratins mit Trüffeln verarbeitet werden konnten.
»Irgendwann werden Sie mir erklären, was Sie mit einer verbesserten Immanenz gemeint haben«, sagte die Gräfin, als wir auf dem Rückweg ins Schloss waren. Sie schien diesem Augenblick nicht mit großer Ungeduld entgegenzublicken.
Dann versuchte ich endlich, Michel Houellebecq, den Propheten der Assoziation, zu lesen. Das Buch trug noch das bordeauxrote Bauchband, das den Prix Goncourt 2010 anpries, und hatte 20,90 € gekostet, offensichtlich war esim Supermarché Hyper-U gekauft worden, denn das waren 1,10 € unter dem offiziellen Preis.
Ich nahm mir vor, den Roman sorgfältig zu lesen und ihn nicht nur zu überfliegen, wie ich es oft tat – es gab ja so viele Bücher. Seine Familiengeschichten fesselten mich nicht. Jed Martin, der Protagonist, verspeiste mit seinem Vater aus Pflichtgefühl ein klassisches Weihnachtsmenü. In einem Zeitungsinterview hatte Michel seine Sehnsucht nach Langeweile erwähnt: verbesserte Immanenz? Das offiziell gemessene Glück war nicht seine Sache. Zu viel Glück tötete die Langeweile. Oder war das eben der Witz: Man gibt vor, gelangweilt zu sein, um das Glück in seinen letzten Rückzugsgebieten noch aufzuspüren und es sozusagen als Entbehrender ganz besonders zu genießen? Welche Raffinesse!
Ich erfuhr, dass eine Karte immer interessanter ist als das Territorium. Darum empfiehlt es sich, Reiseführer zu lesen statt zu reisen, den Guide Michelin durchzugehen, statt effektiv in den empfohlenen Restaurants zu speisen, die sich unweigerlich als Enttäuschung herausstellen. Was, wenn die
route panoramique
weniger idyllisch sein sollte, als sie es so schön grün nachgezeichnet auf der Karte verspricht?
Auf jeden Fall wirkt es immer tiefsinnig, wenn man die Verhältnisse auf den Kopf stellt, aber es ist eben auch eine billige Masche. Oscar Wilde zum Beispiel ist witzig, ermüdet aber schnell. Dasselbe gilt für alle Schlaumeier.
Aber zurück zu Houellebecq.
Seine Großmutter stirbt. Er verliebt sich in eine schöne Russin (eine der fünf schönsten Frauen von Paris), die praktischerweise bei Michelin arbeitet. Jed macht Furore mit seinen Fotografien von Michelin-Karten. Er wird reich und berühmt. Olga, die Russin, vermarktet die
magie du terroir
(
Libération
) von Frankreichs ländlichen Gegenden an ausländische Touristen. Amerikaner und Engländer können sich keine Ferien in Frankreich mehr leisten (Franzosen schon gar nicht), also richtet sich das Marketing auf Chinesen, Inder und Russen aus. Die schätzen das Ursprüngliche, Traditionelle. Dann wird Olga nach Moskau zurückbeordert,und Jed bleibt viele Jahre allein. Inzwischen fotografiert er Repräsentanten aussterbender Gewerbe, wie Pferdemetzger, Bäcker, Caféinhaber usw. (Das ist natürlich ein versteckter Hinweis auf irgendetwas.) Er trifft den Literaten Beigbeder, der ein Gefährte des Postboten Besancenot und Mitbegründer des
Nouveau Parti Anticapitaliste
ist.
Nouveau
? Beigbeder vermittelt ihm ein Treffen mit Michel Houellebecq in Irland. Beigbeder hält einen Vortrag über William Morris. Da wird es klar: Morris ist der Prophet der
association
! Der Autor spricht zum Leser. Houellebecqs Rasen ist sehr schlecht gepflegt. Houellebecq willigt ein, einen Text für den Katalog von Jeds neuer Ausstellung zu schreiben. Jed macht auf Grund von Fotos ein Portrait des Dichters. Dann geht’s bergab: Houellebecq wird auf grausame Weise ermordet, zerstückelt, und es beginnt ein aufgesetzter Krimi. Schließlich wird ein absolut perverser Schönheitschirurg als Täter entlarvt – er war nur am Portrait interessiert. Jed Martin selbst zieht dann auch aufs Land, er kauft Hunderte von Hektar Land, die er mit einem elektrischen Zaun absichert. Er baut sich eine Privatstraße zur Autobahn, sodass er jeweils am Montagmorgen im nächsten, halb leeren Hyper-U ungestört shoppen gehen kann. Er lebt allein, liest keine Zeitungen. Er stirbt, geht ein ins ewige Hyper-U.
Zuerst war ich verwirrt: Hatte ich wirklich dasselbe Buch gelesen wie meine Freundinnen und Freunde der
association
? Doch dann begriff ich, es lag ja auf der Hand. Michel
war
der Prophet des neuen konvivialen Welthaushalts.
Und einen Satz müsste ich noch zitieren: »Ich glaube ans
Weitere Kostenlose Bücher