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P.M. Manetti lesen oder Vom Guten Leben

P.M. Manetti lesen oder Vom Guten Leben

Titel: P.M. Manetti lesen oder Vom Guten Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
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Böse«, fuhr Jed im gleichen Ton fort. »Ich glaube an die Schuld, und an die Züchtigung.«
    Und den Schluss: »Der Triumph der Vegetation ist total.« Heiliger Bimbam!
    Die Handwerker, die das Château ökologisch sanieren sollten, kamen mit ihren Lastwagen und begannen überall Gerüste zu errichten. Dachdecker deckten das Dach ab. Fensterrahmen wurden herausgerissen. Leitungen wurden verlegt. Es wurde alles ein bisschen ungemütlich.
    Ariane de Quincy sprach mich beim Pflücken von Gurken wieder an.
    »So wie ich Sie verstanden habe, kann Glück kein Ziel sein. Sie lehnen also Epikur, Seneca, Voltaire oder Fourier ab. Sie sind nicht zufrieden.«
    »Glück kann nicht gewollt werden, es ist immer ein Nebenprodukt. Was wirklich zählt, sind Aufgaben.«
    »Und wer gibt Ihnen diese Aufgaben?«
    »Niemand, sie sind emergent, evident, wir geben sie uns selbst.«
    Sie richtete sich auf, eine Gurke in ihrer orange-rot behandschuhten Hand schwingend.
    »Emergente Aufgaben!«, schnaubte sie.
    »Madame«, wehrte ich mich, »haben Sie noch nie festgestellt, dass Glück sich verflüchtigt, sobald wir es packen wollen?«
    »Klar, spätestens nach meiner dritten Ehe.«
    Sie lachte laut, sagte dann ernst: »Mir ist aber immer noch nicht klar, von was für Aufgaben Sie da reden. Und wer sollte sie formulieren?«
    Ich hätte in diesem Moment auf Ludwig Hohl zurückgreifen können. Ich zitierte aber nicht Hohl, sondern sagte dunkel: »Stellen Sie sich die höchstmögliche Aufgabe vor, ganz ohne Kompromisse, und Sie haben die Antwort.«
    »Also keine Religion, keine Mystik?«
    »Das sind nur Ablenkungsmanöver. Nein, etwas Handfestes, Brauchbares, Solides.«
    Sie dachte nach. »Die größte Aufgabe besteht wohl darin, all diesen Idioten beizubringen, wie man auf diesem Planeten nachhaltig leben kann.«
    »Das ist zwar harte Arbeit, aber keine sehr große Aufgabe.«
    »Sagen Sie es mir!«
    Natürlich sagte ich es nicht. Es hätte keinen Sinn gehabt. Wenn diese Aufgabe wirklich selbstevident und emergent war, dann musste sie selbst drauf kommen.
    »Ich stelle Ihnen nur eine Frage: Gibt es in Ihrem Leben noch Menschen, lebende oder tote, mit denen Sie noch offeneRechnungen haben, mit denen Sie noch nicht fertig sind?« Sie schnaubte. »Hunderte! Mein Leben besteht nur aus unterbrochenen Beziehungen, unfertigen Unternehmungen, angefangenen Projekten und emotionalen Fetzen. Ist das bei Ihnen anders?«
    »Natürlich nicht.«
    »Na, und jetzt?«
    Ich zuckte mit den Schultern. Mehr durfte ich wirklich nicht sagen. Wenn sie jetzt nicht drauf kam, dann war jeder weitere Hinweis nur schädlich, sozusagen pädagogisch (bei Kindern schon schlimm, bei Erwachsenen peinlich) unkorrekt.
    »Eben.«
    »Sie sind unbrauchbar. Spielen bloß Sokrates. Machen wir jetzt weiter mit diesen Gurken?«
    In den nächsten Tagen blickte mich die Gräfin hier und da fragend an. Am dritten Tag kniff sie mich bei einem Frühstück in den Oberarm und flüsterte:
    »Ich hab’s begriffen. Erst jetzt macht der ganze Diskurs von Entschleunigung wirklich Sinn.«
    Eines Abends kam dann Michel zu einer der Soirées. Auch Dominique Strauss-Kahn und Anne Sinclair waren da – sie hatten ein 180m 2 -Apartment an der Place des Vosges –, Bernard-Henri Lévy kam mit offenem weißen Hemd. Nur Sarkozy fehlte, er gehörte nicht zu dieser Szene, worunter er scheint’s leidet. Es wurde Champagner aus dem Schloss-keller serviert. Es gab ein Salatbuffet, Meeresfrüchte, Pasteten, Terrinen und pochierten Karpfen in Aspik.
    Michel sang traurige Lieder. Er versuchte, unser Interesse zu töten und Langeweile zu verbreiten. Das gelang ihm nicht. Die Stimmung verbesserte sich im Gegenteil.
    In einer Pause wandte ich mich an DSK, der zufrieden an seinem Champagner süffelte.
    »Wie kannst du eigentlich deine Funktion beim IWF mit den Aktivitäten der
association
vereinbaren?«
    Er grinste verträumt. »Wir machen genau, was der IWF will.
    Der IWF ist dazu da, den Übergang vom Kapitalismus in einegesunde Wirtschaftsweise möglichst katastrophenfrei zu gestalten. Wer sollte besser wissen, dass der Kapitalismus nicht funktioniert, als der Direktor des IWF?«
    »Und trotzdem tut ihr alles, um ihn am Leben zu erhalten, auf Kosten der Ärmsten.«
    »Ein Pleonasmus: Alles kann nur auf Kosten der Arbeitenden geschehen, denn die Reichen sind ja per Definition unproduktiv. Man kann nur das Proletariat ausbeuten. Wen denn sonst? Das Problem ist, dass selbst extreme Formen der Ausbeutung sich nicht

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