P.M. Manetti lesen oder Vom Guten Leben
Mehrheit gehabt, aber wir hatten sie gewähren lassen. Ich hatte keine Lust mehr, mich an dieser sadomasochistischen Inszenierung zu beteiligen, weder physisch, noch mental.
Baudelaires Prosagedicht mit dem Titel »Verprügeln wir die Armen« (
Assommons les pauvres!
) kam mir in den Sinn. Ich war empört über mich selbst.
Klar muss man sich empören. Doch was kommt dann? Nach einem großen Milchkaffee und einem Pastel de Nata begab ich mich in die nächste Seitenstraße, wo ich ein Internetcafé entdeckt hatte. Ich konsultierte das lokale Telefonbuch und notierte Roberto und Elsas Adresse auf der Rückseite meiner Café-Quittung. Gemäß Google-Maps war es ein Haus in der Alfama, leicht zu finden.
Ich läutete neben einer dicken Holztür, über der die Hausnummer 327 prangte. Nichts regte sich.
Ich läutete nochmals und länger. Ein Riegel wurde zurückgeschoben, ein Schloss klickte. Eine blonde Frau um die vierzig blickte mich verärgert durch den Türspalt an.
»Machen Sie, dass Sie wegkommen«, versetzte sie und wollte die Tür schon wieder schließen. Ich hatte aber meinen Fuß in die Lücke geschoben.
»Ich heiße Meier, Hyazinth Meier. Und ich möchte Frau Elsa Manetti sprechen.«
»Frau Manetti ist nicht da, und ich bin nicht befugt, jemanden zu empfangen.«
»Ich bin ein Freund von Thomas Schneider. Ich suche Frau Vischer.«
»Das kann jeder sagen. Ziehen Sie bitte Ihren Fuß zurück, sonst rufe ich die Polizei. Ich habe das Handy schon in der Hand.«
»Das glaube ich Ihnen nicht«, behauptete ich.
»Dann kommen Sie schon rein.«
»Danke.«
»Und Sie heißen wirklich Hyazinth?«, versetzte sie, als ich den dunklen, mit schwarzen und weißen Quadraten gefliesten Korridor betrat.
»Sicher. Im Deutschen ein seltener, in andern Sprachen ein geläufiger Name, wie zum Beispiel Giacinto im Italienischen.«
»Jacinto auf Portugiesisch«, ergänzte sie hilfreich.
Ich betrat einen eleganten Salon mit teuren Möbeln, Bü-Büchergestellen auf der linken, kleinformatigen Bildern – Cuno Amiet? Félix Valloton? – auf der rechten Seite. Glastürengingen auf ein schon in Dämmerlicht getauchtes Patio hinaus.
»Setzen Sie sich, es gibt gleich einen Grüntee«, verkündete die Frau und ließ mich einfach stehen.
Ich schaute mir die Bilder an: Ein Hodler-Portrait war auch dabei. Auf dem Kaminsims entdeckte ich eine alte Farbfotografie. Roberto Manetti in einem offenen weißen Hemd vor einer tropischen Kulisse, Palmen, hoch aufragende großblättrige Pflanzen; der Himmel war nicht zu sehen. Roberto war braungebrannt, grinste zuversichtlich in die Kamera, offensichtlich ging es ihm gut. Wo war er? Es konnte überall sein, im Mittelmeerraum, in der Karibik, im Tessin, oder im Palmenhaus der Stadtgärtnerei Zürich. Sein Alter war schwierig zu schätzen, er konnte vierzig sein oder über fünfzig. Die Ausleuchtung war nicht so gut, dass man Falten erkennen konnte.
Im Patio standen weiße Eisenstühle, ein Marmortisch. Wände und Boden waren in verzwickten arabischen Mustern gekachelt.
Da ich Cora Mink schon getroffen hatte, vermutete ich, dass es sich bei meiner Gastgeberin um Gerda Ax handelte.
»Also gibt’s Roberto Manetti doch«, versetzte ich, als sie mit dem Teetablett auftauchte.
»Kümmern Sie sich besser um Ihre eigenen Angelegenheiten«, erwiderte sie.
»Die Bilder haben Sie noch nicht verkauft.«
Ich setzte mich auf ein weißes Ledersofa, sie goss mir ein. Ich hasse Grüntee.
Sie schlürfte genüsslich aus ihrer Tasse.
»Ich habe Sie nur hereingelassen, weil Sie ein Freund von Thomas Schneider sind. Was Ihre Mission betrifft, so ist sie völlig sinnlos. Ihre vier Freunde von der Polizei waren schon hier. Ein Marcel Lüthi tauchte auf und verschwand. Ein Irrer.«
Ich rührte den Tee nicht an.
»Wenn Freunde verschwinden, muss man nach ihnen suchen. Können Sie mir etwas über den Verbleib von Rita Vischer sagen?«
»Ihr Mann Christian hat geschrieben. Wir haben ihn beruhigt. Rita Vischer geht es gut. Mir wird es auch bald gut gehen.«
Sie blickte mich an. »Wenn Sie hier raus sind. Sie Hyazinth.«
»Wissen Sie zufällig, wo der Schnappschuss von Roberto Manetti aufgenommen wurde?«
»Keine Ahnung. Ich wohne nicht hier.«
Ich nippte schließlich doch am Grüntee.
»Was halten Sie vom Kommenden Aufstand?« fragte ich sie, einer Laune folgend.
Sie starrte mich nur abweisend an. »Lieber Herr Meier«, sagte sie schließlich, »ich bitte Sie, jetzt zu gehen. Kehren Sie nach Zürich
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