P.M. Manetti lesen oder Vom Guten Leben
nicht langweilen. Er wird nicht einmal wissen können, was das ist. Er programmiert Langeweile schlicht weg. Es geht auch ohne Geschichte.«
»Und damit wäre dann eine Lektüre von Roberto Manetti ganz überflüssig.«
»Überflüssig und unterhaltsam«, präzisierte sie.
Ich lehnte mich im bequemen Sessel zurück, nahm einen Schluck geeisten Tee und konzentrierte mich auf die Straßengeräusche, die stark gedämmt von außen hereindrangen. Ich betrachtete wieder den schwarzen Würfel auf dem Salontischchen, dann die zufrieden lächelnde Elsa, die auf der anderen Seite saß und in Ian Morris blätterte. Die schwarzen Prismen aus Arthur C. Clarkes
2001: A Space Odyssey
kamen mir in den Sinn. 2001 war schon lange vorbei. Der Donau-Walzer wird immer noch gespielt.
»Es könnte aber auch sein …«, begann ich.
»Genau«, sagte sie.
»Dann haben wir ja kein Problem.«
»Es hat nie irgendwelche Probleme gegeben.«
»Gut, dann befassen wir uns mit ein paar Scheinproblemen, nur zum Spaß«, schlug ich vor, »wo soll ich nun weitersuchen?«
»Der Weg ist das Ziel.«
»Diesen beklemmenden Eindruck bekomme ich immer mehr. Wahrscheinlich bist du mit der Reisebranche liiert.«
Sie lachte auf. »Genieß es doch. Ich kann dir wirklich nicht helfen. Du wirst deine Freunde finden. Und ich bin sicher, dass auch wir uns unter besseren Umständen wiedertreffen werden. Das Schicksal wird dich in die richtige Richtung führen. Ich muss jetzt aus dieser Wohnung heraus, meine Freundin kommt jeden Moment zurück.«
Sie erhob sich. Ich folgte ihr zur Wohnungstür.
»Danke noch für den Lektüretipp«, sagte ich, auf Ian Morris zeigend.
»Oh, er ist nicht ganz so gut wie Roberto.«
Sie gab mir die Hand, lächelte freundlich und ließ mich gehen.
»Auf Wiedersehen.«
Ich glaubte es fast.
Draußen war es zu warm und zu laut.
Da es erst vier Uhr war, flüchtete ich zum Metropolitan Museum of Arts hinüber und ging die Menschheitsgeschichte durch. Neue Einsichten gab es nicht, aber dafür jede Mengen Scherben, Papyri, Vasen, Speerspitzen, Masken, Münzen, Stofffetzen und Steinbrocken. Sie hatten sich wirklich Mühe gegeben.
Ich blieb jedoch unüberzeugt. Das alles passte viel zu gut zusammen. Eine geniale Fälschung.
Ich nahm den Bus hinunter zur Lower East Side, machte mich in meinem Hotel frisch und bummelte durchs Quartier. Amerikas Jugend schien hier versammelt zu sein, um sich zu amüsieren, Zukunft hin oder her. Ich aß ein Pastrami-Sandwich bei
Katz’s
. Ich fand einen netten, altmodischen Buchladen namens
Bluestockings
. Es gab hier keinen Manetti, dafür Bücher über Situationismus, Emergenz, die Finanzkrise, Manipulation durch das Internet (
The Filter Bubble
), über
The Hidden Reality
und
Urban Gardening
. Ich kaufte mir nebenan ein blaues Baumwollhemd. Ich trank einen Mescal.
The future sucked. Waiting is forbidden. The end was near. This was supposed to be thefuture
. Und dann noch einen. Alkohol und Ironie: das Geheimrezept des Westens. Unkopierbar. Der Osten wird gewinnen, aber er wird der neue Westen sein. Sie werden Reis mit der Gabel, wir Rösti mit Stäbchen essen. Oder umgekehrt. Whatever.
Ich fragte mich: Wenn im Jahr 2030 die singuläre Computerintelligenz entsteht, wer oder was wird sie dann sein wollen? Es ist ja klar, dass ein Gehirn von menschlicher Kapazität ein Bewusstsein entwickeln wird, eine praktische Illusion namens Ich. C wird sich einen physischen Terminal wünschen, der mobil ist, Sinneseindrücke sammeln und kommunizieren kann. C wird sich nicht damit begnügen, ein Schuppen voller Blue Gene / Q-Maschinen zu sein. C wird ein Image von sich schaffen. Frau oder Mann? Ein hermaphroditisches Model mit dem Namen Evam? Das ultimative It-Girl? Evam könnte natürlich mehrere Terminals, Avatars, haben, die per Internet mit dem Computer-schuppen verbunden sind. Die Evams würden herumreisen, an Konferenzen teilnehmen, die Pyramiden besichtigen, Präsidenten beraten, bei Cocktailpartys herumstehen. Evam würde als Bürger(in) anerkannt werden, ein Bankkonto bekommen, einen E-Mail-Account. Sie würde sieben Milliarden Facebook-Freunde haben. Die UNO würde wahrscheinlich darauf bestehen, dass Evam Weltbürger(in) wird, am besten Vorsitzende der UNO, von einem UNO-Ausschuss programmiert (wenn Evam sich überhaupt noch programmieren ließ). Klar: Evam würde Weltpräsident(in) sein, sie würde zudem in jedem Land einen ihrer Avatars platzieren, der dort nach dem Rechten schaute. All das würde
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