Poison (German Edition)
und verlassen fühlen würde. Hilft nur Jack.
Ich stehe auf, taumele, halte mich an der Couch fest, taste mich am Tisch entlang, bis sich mein Kreislauf einigermaßen beruhigt und ich problemlos stehen kann. Die paar Schritte zu meiner Küchenzeile schaffe ich spielend, ich nehme die Flasche Jack aus dem Kühlschrank, ein paar Eiswürfel aus dem Gefrierfach, fülle sie in ein Wasserglas, nehme die Dose mit Dope und Tabak aus dem Küchenschrank und fläze mich auf den Boden, drehe mir einen Joint und gieße mir den Jack auf Eis ein. Jack hat bisher immer geholfen, wenn ich einen freien Kopf gebraucht habe, und wenn Sex nichts geholfen hat, versteht sich.
Nach dem dritten Glas ist mir nach Musik, und zwar nicht nach irgendwas, sondern nach meiner geheimen Leidenschaft, Countrypop. Tim McGraw ist es, nach dem mir jetzt ist. Seine Songs, gepaart mit einer Flasche Jack, sind sowieso das beste Allheilmittel überhaupt. Als ich die CD einlege, sehe ich mein Handy auf dem Couchtisch liegen. Wieder auf dem Boden, überlege ich mir, ob ich ihn anrufe oder nicht. Ich beschließe, es mal mit Logik zu versuchen.
Okay, fassen wir alles zusammen: Immer, wenn wir uns treffen, passiert irgendeine Scheiße. Entweder ich flüchte, oder er flüchtet. Ich benehme mich daneben, ich lüge, ich bin verwirrt, er ist verwirrt oder was auch immer. Meine Tante, deren Glaubwürdigkeit für mich völlig außer Frage steht, sagt, er ist meine Liebe. Und ich bin seine. Er ist mein Schicksal, und ich bin seins. Er ist mein Glück, und umgekehrt. Das bedeutet, wir sind füreinander bestimmt, und ergänzen uns perfekt – theoretisch.
Ich glaube nicht an Liebe, sondern nur an Sex. Ich kenne aber eigentlich auch keine Liebe, außer der, die meine Tante und mich verbindet. Wahrscheinlich habe ich Angst davor, was meine Tante mir auch bestätigt hat. Das bedeutet, dass ich meine Angst umgehen, damit umzugehen lernen muss, um in diesem Leben Erfolg zu haben. Komisch, der Alkohol macht nur noch klarer, was ich eigentlich unterbewusst schon gewusst habe, anstelle seinen gnädigen Vorhang des Vergessens um meine Seele zu hüllen, bis alles vorbei ist ...
Wie gesagt ... es funktioniert immer ... bis auf heute. Aber das ist vielleicht auch ganz gut so, denn ich bin oft genug vor meinen eigenen Problemen weggelaufen. Eins ist mir klar: WENN meine Tante recht hat – und da zweifele ich nicht dran – und der Typ, Shahin, ist wirklich meine Liebe ... mein Verhalten zeigt mir, dass es so ist oder zumindest so sein könnte – was passiert dann?
Eine »Beziehung« führen wie die Heten? Gemeinsam einschlafen, gemeinsames Aufwachen? Spießertum? Und vor allem: Der Sex wird doch langweilig, irgendwann? Buäh. Ich schüttele mich innerlich. Selbst wenn ... wie soll das Ganze aussehen? Ich habe null Ahnung, nicht einmal einen Hauch davon. Das vierte und fünfte Glas Jack unterstützt mich in meinen Bemühungen. Also, inzwischen habe ich mir die allerfeinste Paranoia in Bezug auf eine gemeinsame Hochzeit eingeredet, wieder ausgeredet und bin viele verschiedene Varianten einer eventuellen gemeinsamen Zukunft durchgegangen. Ich weiß nur eins, das ich nicht will: Ich kann und will keinen Typen brauchen, der ständig um mich herum hängt. Ich brauche meine Freiheit, und ich will mein Leben so leben wie bisher. Verdammt, warum muss das alles nur so kompliziert sein?????
Nach dem sechsten Glas beschließe ich ihn anzurufen. Mein Handy rutscht mir fast aus der Hand, so sehr hat Jack mich in seiner Gewalt, aber zum Telefonieren reicht’s noch, denke ich. »Please try again later!« Diese Stimme kenn ich schon ... Und das ist auch gut so, denn ich glaube, das Einzige, was uns jetzt noch fehlt, ist ein Anruf bei ihm mit stark lallender Stimme.
36
Brix
Jack schubst mich an, und weil ich nicht damit gerechnet habe, falle ich fast vom Dach der Scheune, auf der wir gerade liegen, Jim, Jack, John und ich, der Sheriff von Nashville, Tennessee. Zum Glück kann ich mich noch halten, ohne Krach zu machen, und so merkt die Bande der Outlaws, die in der Scheune unter uns ihr Hauptquartier hat, nicht, dass wir ihnen schon auf der Spur, ihnen bereits aufs Dach gestiegen sind. Unter uns also Lachen, Singen oder besser gesagt, Grölen, denn nach der Anzahl der Fässer Brandy, die einer der Outlaws vor geraumer Zeit hineingetragen hat, müssten alle dort drin ziemlich angetrunken sein. Der Banjo-Spieler, der dabei ist, hat sein Spiel längst sein gelassen, und ist mit
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