Pralinen im Bett: Schuhdiebe, Mutterliebe, Seitenhiebe und weitere Tücken des Alltags (German Edition)
genauer darüber nachdachte, wurde mir klar, dass es in Pusteblume eine ganze Menge Sex gibt. Und eine der Hauptpersonen, Tara, raucht ziemlich viel – und ist ständig auf der Suche nach dem wirklich haltbaren Lippenstift. Und obwohl es sich um eine Komödie handelt, ist es immerhin eine Komödie über einen jungen Mann, der an Krebs erkrankt. Genug Gelegenheit also, über la vie und la mort zu sinnieren. Ja, allmählich begann ich es zu verstehen.
Also machten sich mein Herzallerliebster und ich auf den Weg nach Frankreich (dafür ist uns jede Ausrede recht) und begaben uns zu dem gigantischen Filmstudio in einer Pariser Vorstadt. Man hatte uns gesagt, wir könnten uns jederzeit einfinden, aber wir wollten nicht einfach davon ausgehen, dass wir zum Lunch eingeladen sind, also rechneten wir uns aus, dass die optimale Ankunftszeit gegen 16 Uhr wäre. Um diese Zeit vereinen sich die Arbeiter der Welt, indem sie ihr Werkzeug niederlegen, ein Kitkat Chunky knabbern und eine Dose Lilt (oder die entsprechende lokale Biersorte) schlürfen.
Aber als wir eintrafen, waren die Dreharbeiten noch in vollem Gang, sodass wir uns auf dem Set den Weg durch Kabel und Monitore und Menschenmassen bahnen mussten – und auf einmal kippte ich fast aus den Latschen. Die Darstellerin der Katherine sah genauso aus, wie ich sie mir vorgestellt hatte: wunderschön auf eine reine, unschuldige Art. Es war ein höchst sonderbares Gefühl – es war, als hätte ich sie heraufbeschworen, als wäre sie einfach meiner Vorstellung entsprungen und real geworden. Und die Frau, die die Tara spielte, war »meine« Tara, sie verkörperte ganz und gar ihre innerste Essenz. Der junge Mann, der Lorcan Larkin, den Egomanen des Buchs darstellte, hatte seinen Namen zwar zu Leo geändert (vermutlich findet man in Frankreich nicht allzu viele Lorcans) und statt langer roter Haare trug er kurze dunkle, aber
wie er da in seinem langen Ledermantel und seinen Cowboystiefeln herumstolzierte, wirkte er sexy und abstoßend zugleich – genau wie ich ihn mir immer vorgestellt hatte.
Ich stand im Schatten und beobachtete die Szene, als mich der nächste Schock ereilte – ich kannte das alles! Die Leute sagten genau das, was ich geschrieben hatte. (Nur eben auf Französisch.) Vielleicht klingt das nach einer Binsenweisheit, aber sonst hat die Filmversion eines Buchs doch oft nur noch eines mit dem Buch gemeinsam, nämlich den Titel.
Der Geist meines Romans war hundertprozentig eingefangen – selbst die Nebenrollen waren perfekt besetzt. Alles war so rührend, dass ich zu meiner unendlichen Schande zu weinen begann. Zum Glück war es keine ausladende, Schultern rüttelnde, extravagante Zurschaustellung von Emotionen – ich blamierte mich nicht ganz bis auf die Knochen –, sondern lediglich eine Tränendrüsen anregende, diskret schniefende Angelegenheit. Aber schlimm genug.
Dann brüllte die Regisseurin: »Coupe!« (Ehrlich, so war es, total toll – so französisch ), und die Begrüßung begann. Als wir uns bis zum Abwinken gebonjourt hatten, kam endlich der lang erwartete Augenblick: Man bot uns »Erfrischungen« an. Mein Herzallerliebster und ich warfen uns blitzschnell einen viel sagenden Blick zu. Ruhig bleiben. Nicht sabbern. Nicht rennen. Ganz locker. Aber zu unserer großen Überraschung gab es bloß Süßigkeiten. Französische Süßigkeiten natürlich, was bedeutete, dass sie allen anderen Süßigkeiten haushoch überlegen waren, aber eben nicht annähernd das Buffet, das wir uns ausgemalt hatten.
Als wir einige Zeit später auf dem Rücksitz des Taxis saßen und wegfuhren, sagte mein Herzallerliebster: »Eins verstehe ich überhaupt nicht.«
»Das mit dem Essen?«, fragte ich verständnisvoll. »Ich weiß, was du meinst!«
»Nein, nicht das Essen. Ich verstehe nicht, warum sich keins von den Mädchen ausgezogen hat.« Nach einer versonnenen Pause fügte er hinzu: »Weißt du was? Es hat nicht mal einer geraucht!«
Er hatte vollkommen Recht, und mich überkam plötzlich ein schrecklicher Verdacht – kein leckeres Essen, keine nackte Haut, keine Gauloises –, war womöglich alles nur ein großer, ausgeklügelter, schlechter Scherz? Ein abgefeimter Reality-TV-Schwindel?
Nach mehreren Sekunden betroffenen Schweigens sagte mein Herzallerliebster, mit einer Stimme wie ein Ertrinkender, der nach dem letzten Strohhalm greift: »Aber Taras Lippenstift war richtig rot.«
Ja, pflichtete ich ihm bei, Taras Lippenstift war sehr rot. Knallrot.
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