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Prinz-Albrecht-Straße

Prinz-Albrecht-Straße

Titel: Prinz-Albrecht-Straße Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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Mädchen.
    Die beiden begriffen nichts.
    »Was fällt Ihnen ein!« brüllte der Mann zum zweitenmal.
    Seine Sekretärin lachte hysterisch. Stahmer schlug mit dem Pistolenknauf gegen die Schläfe des Sendeleiters. Er klappte mit einem Röcheln zusammen wie ein Taschenmesser. Die Augen des Mädchens traten aus den Höhlen.
    Gleichzeitig ging der blutige Spuk los. Pistolenschüsse peitschten vor dem Haus. In panikartiger Flucht hasteten Angestellte über die Gänge. Zwei wollten eintreten, sahen Stahmer mit der Pistole, taumelten wie benommen wieder hinaus.
    Dann kamen die Leute des Agenten. Voraus der Techniker. Zwei betraten den Senderaum. Die anderen hielten auf dem Gang die Angestellten in Schach.
    »Diese Schweine haben in letzter Sekunde abgeschaltet«, sagte der Techniker.
    »Notaggregat benutzen«, befahl Stahmer.
    Der Text war halb polnisch, halb deutsch:
    »Die Stunde der Befreiung ist da … Erhebt euch gegen eure deutschen Unterdrücker … Oberschlesien wird polnisch … Handelt sofort! … Die freie Welt wird euren Kampf unterstützen!«
    Stahmer kannte die Sätze auswendig. Mit den letzten Worten riß der Agent seine Trillerpfeife aus der Tasche. Die Pfiffe gellten durch das Haus. Rückzug, hieß das. Die angeblichen Polen gingen mit dem Rücken an der Wand entlang.
    Erster Stock. Noch kein ernsthafter Zwischenfall. Wieder Schwein gehabt, dachte Stahmer. Dann hörte er die Sirenen. Überfallkommando. Jetzt begann der Hexenkessel.
    »Vollzählig?« schrie Stahmer.
    »Ja«, erwiderten seine Leute.
    Das Sirenengeheul wurde stärker. Der Pförtner hing bewußtlos über seinem Tisch. Die Überfallenen hatten sich ermannt, kamen über die Gänge. Stahmer schoß zwischen sie. Zu hoch. Absichtlich. Einer seiner Leute warf die erste Handgranate des Zweiten Weltkrieges. Als sie explodierte, stürzten die Polizisten aus dem Überfallwagen.
    Sie schwärmten aus, wurden unter Beschuß genommen, warfen sich auf den Boden, hatten nur Pistolen, sonst nichts. Die Verwirrung war eingeplant. Jeder schoß auf jeden. Die biederen Stadtpolizisten von Gleiwitz begriffen nicht, was los war. Sie schoben sich vorwärts, kriechend. Eine Handgranate knallte zwischen sie. Einer schrie auf. Sein Arm war zerfetzt.
    »Deckung«, brüllte ein Polizeioffizier. Er entschloß sich, Verstärkung abzuwarten.
    »Zurück!« brüllte Stahmer über den Platz.
    Hinhaltender Widerstand war vorgeschrieben. Das ungleiche Duell sollte neunzig Sekunden dauern. Nur gezielte Schüsse kamen jetzt. Der Mann neben dem Agenten fiel um. Getroffen. Verflucht, dachte Stahmer. Er verfolgte, wie seine Leute auseinanderspritzten. Er flüchtete als letzter, quer durchs Haus, über die Treppe hinunter. Keine Kunst. Seitenausgang. In der einsetzenden Dämmerung stolperte der Agent über etwas Weiches.
    Ein Mensch. Wie schlafend. Wie tot. Stahmer beugte sich über ihn, betrachtete das Gesicht. Er kannte Hans Mersmann nicht. Er hatte ihn nie gesehen.
    »Hauen Sie ab!« sagte eine Stimme hinter ihm.
    »Was ist das?« fragte Werner Stahmer.
    »Befehl vom Gruppenführer Müller.«
    Stahmer hob mit dem Finger das Augenlid des am Boden Liegenden. Der Mensch lebt noch, dachte er. Nur bewußtlos. Dann fuhr er hoch. Der Beauftragte des Gestapo-Chefs fetzte dem Bewußtlosen das ganze Magazin der Pistole in den Körper.
    Pfiffe, Schreie, Kommandos. Keine Zeit mehr. Stahmer hastete an die Mauer, zog sich hoch, sprang hinüber, sah sich um. Noch war das Sendehaus nicht ganz umstellt. Dilettanten, dachte Stahmer erleichtert. Die Verwirrung war zu groß.
    Auf ein Gangsterstück dieses Ausmaßes war die Gleiwitzer Polizei nicht gefaßt. Teil eins des Himmler-Plans hatte geklappt. Fünf Tote. Aber das wußte Werner Stahmer noch nicht. Er kannte nur den einen, dessen Gesicht ihn verfolgte. Und einen zweiten, der an seiner Seite niedergesunken war.
    Heydrich kann zufrieden sein, dachte er angeekelt, Blut ist geflossen …

71
    In der Prinz-Albrecht-Straße herrschte die übliche Siedehitze. Heydrich hatte ein Spezialgerät in sein Arbeitszimmer schaffen lassen. Umgeben von ein paar Vertrauten verfolgte er die Direktübertragung des Schicksals aus Gleiwitz. Die erstickten Hilfeschreie, die Schritte, die Schüsse, das Keuchen: es klang echter als echt. Wenn man den Empfang mit normalen Geräten auch nur in Oberschlesien hören konnte, so gab es jetzt doch Tausende deutscher Ohrenzeugen, die erst viele Jahre später erfahren sollten, wie ungeheuerlich man sie geblufft hatte. Der Mann

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