Prinz für die Köchin
sagte er freundlich: »Guten Morgen. Hätten Sie gern eine Führung?«
Imogen sah sich um. Sie war die erste und bis jetzt auch die einzige Besucherin. »Sollten wir nicht warten, bis mehr Leute da sind?«, fragte sie.
»Keine Sorge«, erwiderte der Führer lächelnd. »Fangen wir an – die anderen können sich uns jederzeit anschließen. Ich nehme doch an, Sie möchten Les jeux de l’amour sehen?«
Als sie ihn verständnislos ansah, erklärte er: »Die von Fragonard bemalten Wandpaneele – sie heißen so: Die Liebesspiele.«
»Oh, ja.«
Während sie mit einem Ohr zuhörte, was der Mann erzählte – Les jeux de l’amour war von der Mätresse von Louis XV . in Auftrag gegeben worden, der schönen Madame du Barry –, betrachtete Imogen die vier Gemälde eingehend: La poursuite, Le rendez-vous, Le billet und L’amant couronné – Die Verfolgung, Das Stelldichein, Der Liebesbrief und Der gekrönte Liebhaber. Ganz kurz riss sie sich von dem Bann der Gemälde los, die sich in ihren Gedanken mit den Erinnerungen an jene Küsse im Dunkeln vermischten, und zwang sich, an Cheyenne zu denken. Konnte es sein, dass Mitch und Faustina recht hatten und Cheyenne sein wahres, romantisches Ich hinter dieser »vertrottelten Frauenheld«-Nummer verbarg? Dass er sie hierher geschickt hatte – nun ja, so weit hergeholt war das gar nicht. Cheyenne war Franzose und stammte obendrein noch aus der Gegend. Es war doch logisch, dass er das Museum kannte.
Sie wandte ihre Aufmerksamkeit wieder den Bildern zu und geriet abermals in ihren Bann. Da die dargestellte Zeit just die war, die Bunny für ihre Party ausgesucht hatte, fiel es Imogen beängstigend leicht, sich in das Mädchen im blassgelben Kleid hineinzuversetzen. Auf einem der Bilder saß sie in einem Zustand höchster Erregung wartend da, schaute in die eine Richtung und bemerkte daher nicht, dass auf der anderen Seite einer imposanten Statue von Amor und Psyche ihr Geliebter auf einer Leiter stand und sich anschickte herabzuspringen, um sich auf der Terrasse zu ihr zu gesellen.
»Und auf dem letzten setzt sie ihm eine Krone aus Blumen auf«, schloss der Führer gerade seinen Vortrag ab. »Er hat ihr Herz erobert. Wirklich reizende Szenen, nicht wahr?«
»Ja, hinreißend«, murmelte Imogen halblaut. Tränen waren ihr in die Augen gestiegen, und sie schaute zur Decke hinauf, in der Hoffnung, ihnen Einhalt zu gebieten.
»Ihnen ist doch gewiss klar, dass das hier nur Kopien sind? Die Originale wurden vor langer Zeit von einem amerikanischen Kunstsammler gekauft. Jetzt hängen sie in der Frick Collection in New York. Oh, là, là, diese Amerikaner!« Der Mann rümpfte zierlich die Nase, dann lächelte er sie an. »Verstehen Sie mich nicht falsch – ich habe nichts gegen die Amerikaner persönlich! Au contraire! Trotzdem, es ist sehr schade, dass die Paneele nicht mehr hier sind, aber was können wir machen?«
Imogen nickte höflich. In ihrem Verstand wirbelte es, und es fiel ihr schwer, sich darauf zu konzentrieren, was ihr Begleiter sagte. Langsam ging ihr auf, dass selbst wenn ein Teil ihres Verstandes sich auf Cheyenne fokussierte, ein anderer an dem Mysterium des unsichtbaren Liebhabers festhielt und nicht davon lassen wollte. Außerdem war sie auf höchst widersprüchliche Weise enttäuscht, dass er – Cheyenne? Oder jemand anderes? – sie nicht hier erwartet hatte. Natürlich hatte er ihr nichts versprochen, doch jetzt wurde ihr klar, wie sehr sie gehofft hatte, dass er auftauchen würde, um sie zu überraschen.
»Und jetzt«, sagte ihr Führer, »sollte ich Ihnen wohl das hier geben, glaube ich.« Er hielt ihr einen Briefumschlag hin, auf dem ihr Name stand. »Sie sind doch die Richtige?«
»Ja«, beteuerte Imogen erstaunt und entzückt. »Wer hat das für mich hinterlegt? Wie hat er ausgesehen?« Während sie auf eine Antwort wartete, riss sie den Umschlag auf. Er enthielt eine Karte der Altstadt von Grasse; eine Route war mit roter Tinte darauf eingezeichnet und endete mit einem Kreuz, wie bei der Schatzkarte eines Piraten. War das der Ort, wo er auf sie warten würde?
Der Mann lächelte sie an. »Ich fürchte, das kann ich Ihnen nicht sagen.«
»Hat er sonst noch mit irgendjemandem gesprochen? Vielleicht mit einem von Ihren Kollegen?«
»Nein, ich meine, wir wurden sehr eindringlich gebeten, Ihnen nichts zu verraten. Der Betreffende hat gesagt, das sei Teil eines Spiels – so einer Art Schatzsuche.«
Mit wild hämmerndem Herzen starrte Imogen
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