Professor Unrat oder Das Ende eines Tyrannen
Mädchen aus reicher, Oberlehrern sonst unzugänglicher Familie erhob, grüßte ihn mit mokantem Lächeln. Andere aber verleugneten ausdrücklich jede Gemeinschaft. Einer sprach vor Unrats eigener Klasse von »sittlichem Un-, vielmehr Kot«, von dem die Schüler sich nicht ergreifen lassen sollten. Es war derselbe Oberlehrer Hübbenett, der sich seinerzeit über Unrats Sohn und seine sittlichen Verfehlungen abfällig geäußert hatte: auch damals vor des Vaters Klasse.
Wenn jetzt Unrat den Schulhof betrat, schrie, während der beaufsichtigende Lehrer angewidert wegsah, alles drauflos: »Oho! Hier riecht es nach sittlichem Unrat!«
Der alte Professor näherte sich, der Lärm schwoll, unter Unrats giftigem Schielen, allmählich ab; dann stellte an seinem Wege sich Kieselack auf und versetzte mit einem Senkblick, langsam und nachdrücklich: »Vielmehr Kot.«
Und Unrat schlich zusammenzuckend weiter; er konnte es Kieselack nicht beweisen.
Er konnte ihm nichts mehr beweisen, ihn, das fühlte er wohl, niemals wieder fassen: so wenig wie von Ertzum und Lohmann. Er und seine drei Schüler lebten hier auf Grund gegenseitiger Duldung. So besaß Unrat keine Macht dagegen, daß Lohmann sich am Unterricht überhaupt nicht mehr beteiligte und auf einen Aufruf mit seinem schauspielerischen Tonfall entgegnete, er sei beschäftigt. Unrat vermochte wenig gegen von Ertzum, der, erbittert über sein langes fruchtloses Dahocken, seinem Nachbarn das Extemporale aus den Händen riß, um es abzuschreiben. Unrat mußte zusehn, wie Kieselack bei allen Fragen seine Mitschüler durch Dazwischenwerfen unsinniger Antworten verwirrte; wie er laute Reden führte, ohne Veranlassung durch die Klasse spazierenging, ja, mitten in der Stunde eine Prügelei anzettelte.
Ließ Unrat sich einmal von der Panik des bedrohten Tyrannen hinreißen und steckte die Aufrührer ins Kabuff, dann ergab sich noch Schlimmeres. Die Klasse vernahm dann das Knallen und Glucksen geöffneter Flaschen, lautes Prostrufen, verdächtiges Kichern, den Schall von Küssen … Hals über Kopf stürzte Unrat zur Tür und ließ Kieselack wieder herein. Die beiden andern kamen mit, ungebeten, mit drohenden, verachtungsvollen Mienen …
Für den Augenblick erlitt Unrat zweifellos viel Verdruß. Aber was half ihnen das. Schließlich waren doch sie die Besiegten, der Künstlerin Fröhlich nicht teilhaftig Gewordenen. Nicht Lohmann saß bei der Künstlerin Fröhlich im Kabuff … Unrat schüttelte, kaum daß das Tor der Schule durchschritten war, seinen Unmut ab und lenkte seine Gedanken auf den grauen Rock der Künstlerin Fröhlich, den er von der Waschanstalt abholen sollte, und auf die Bonbons, womit er vorhatte, sie zu überraschen.
Dagegen konnte der Direktor des Gymnasiums nicht länger umhin, einzugreifen in die Zustände der Untersekunda. Er entbot Unrat zu sich ins Amtszimmer und hielt ihm die sittliche Auflösung vor, der seine Klasse sichtlich entgegengehe. Er wolle nicht untersuchen, woher der Ansteckungsstoff komme. Bei einem jüngeren Lehrer würde er dies allerdings untersuchen. Der Herr Kollege aber sei in Ehren ergraut, er möge daher einerseits seiner selbst gedenken, andererseits aber auch des Beispiels nicht vergessen, das er der Klasse schulde.
Unrat sagte darauf: »Herr Direktor: der Athenienser Perikles hatte – traun fürwahr – die Aspasia zur Geliebten.«
Dies passe hier wohl nicht, meinte der Direktor. Und Unrat: »Ich würde mein Leben – immer mal wieder – für nichts erachten, wenn ich den Schülern die klassischen Ideale nur vorerzählte wie müßige Märchen. Der humanistisch Gebildete darf des sittlichen Aberglaubens der niederen Stände billig entraten.«
Der Direktor, der nicht weiterwußte, entließ Unrat und dachte noch lange nach. Zuletzt beschloß er, das Gehörte für sich zu behalten, aus Furcht, der Laie möchte es in einem für Schule und Lehrerstand unvorteilhaften Sinne auslegen.
Seine Wirtschafterin – sie hatte an Besuchen der Künstlerin Fröhlich Anstoß genommen – nötigte Unrat mit triumphierender Ruhe, gegen die ihr Toben sich machtlos brach, zum Verlassen des Hauses. Statt ihrer zog eine Magd aus dem Blauen Engel ein. Sie sah aus wie ein Kehrlappen und empfing den Fleischerburschen, den Schornsteinfeger, den Gasmenschen und die ganze Straße in ihrem Zimmer.
Eine Schneiderin, gelblich von Gesicht, der Unrat im Auftrag der Künstlerin Fröhlich oft Besuche machte, hatte sich immer kalt und zurechtweisend
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