Psychopath
sein.«
»O’Connor? Der Staatsanwalt?«, fragte Clevenger.
»Er hat die Bezirksstaatsanwaltschaft vor zwei Wochen verlassen und arbeitet seither für uns«, erklärte Diario.
Clevenger war in einem Mordprozess, bei dem O’Connor die Staatsanwaltschaft vertreten hatte, Zeuge der Verteidigung gewesen. Eine psychotische Frau mit postnataler Depression hatte ihre dreijährige Tochter getötet. Die Zeugenaussage hatte zu einem Freispruch wegen zeitweiliger Unzurechnungsfähigkeit geführt. »Ich schätze, das ist okay«, sagte er. »Ich habe nicht daran gedacht, meinen eigenen Anwalt mitzubringen.«
»Es ist hier so üblich bei Gesprächen über das Wohlergehen eines Kindes.«
Clevenger nickte. Wenn die Lage brenzlig wurde, könnte er immer noch kurz bei Sarah Ricciardelli anrufen, der Anwältin, die ihm so meisterhaft bei Billys Adoption geholfen hatte. Ihr Büro war nur fünfzehn Minuten entfernt. »Warum fangen wir nicht an und sehen, wie die Dinge laufen?«, fragte er Diario.
»Warum nicht?«, sagte Diario und sah zur Tür. »Richard. Ich glaube, Sie kennen Dr. Clevenger.«
O’Connor kam herein. Er war ein drahtiger Bursche um die eins fünfundsiebzig, Ende dreißig, mit einer hohen Stirn und tief liegenden, eisblauen Augen. »Ich habe in letzter Zeit viel von Ihnen gehört«, bemerkte O’Connor. »Wer nicht?«
»Das bringt der Beruf eben so mit sich«, erwiderte Clevenger. Ihm fiel auf, dass O’Connor ihm nicht die Hand anbot.
Die drei setzten sich an den Konferenztisch, der den kurzen Arm des L-förmigen Büros einnahm.
Diario atmete tief durch und klappte den Aktenordner vor sich auf.
Clevenger sah ganz zuoberst die Formulare, die er ausgefüllt hatte, als er sich um die Adoption von Billy beworben hatte.
»Lassen Sie mich erklären, weshalb wir Sie hergebeten haben«, sagte Diario.
»Bitte doch.« Clevenger sah zu O’Connor, der sich ein mattes Lächeln abrang.
»Wir haben einen Bericht von einer unserer Sozialarbeiterinnen erhalten, die Billy Bishop als ein Kind einstuft, das ›besondere Betreuung‹ braucht«, erklärte Diario.
Das war der Kode für Kind in Gefahr. Er löste eine offizielle Untersuchung von Seiten des Jugendamtes aus. »Und welche Art von Betreuung wäre damit gemeint in diesem Fall?«, wollte Clevenger wissen.
Diario wich der Frage aus. »Wir machen uns Sorgen um Billys Sicherheit«, sagte sie. »Er hat offensichtlich Drogen genommen.«
»Das tun viele Kinder seines Alters«, hielt Clevenger dagegen. »Einschließlich etlicher, die bedeutend weniger durchgemacht haben als er.«
»Er hat die Drogen zu Hause genommen«, sagte O’Connor tonlos wie der Staatsanwalt, der er im Herzen immer noch war.
Clevenger antwortete nicht. Ihn beschlich langsam die Ahnung, dass er vielleicht doch lieber Sarah Ricciardelli dabeihaben würde.
Diario tippte auf den Adoptionsantrag. Clevenger bemerkte, dass ihre Fingernägel bis zum Nagelbett abgekaut waren, ein Zeichen für angestaute Aggression. »Wir haben Zweifel daran, ob Sie uns gegenüber gänzlich offen waren, als Sie Billy adoptiert haben.« Sie blätterte einige Seiten durch, bis sie zu einem Fragebogen kam, in dem Clevenger seine medizinische und psychiatrische Vorgeschichte aufgelistet hatte. »Als Sie dieses Formular ausgefüllt haben, haben Sie ein Wort – nein – an der Stelle eingetragen, wo Sie nach Drogenabhängigkeit gefragt wurden.«
»Ich war zu dem Zeitpunkt von keinerlei Drogen abhängig, ebenso wenig, wie ich es jetzt bin«, erwiderte Clevenger.
»Ich glaube, es ist klar, dass die Frage darauf abzielt, Ihre vollständige Krankengeschichte zu erfassen – Vergangenheit und Gegenwart«, sagte Diario und reichte O’Connor das Formular.
»Ich finde das ganz und gar nicht klar«, entgegnete Clevenger.
O’Connor schüttelte den Kopf. »Der Sinn der Frage ist offensichtlich«, widersprach er und sah Clevenger an. »Es wird eindeutig eine umfassende Antwort verlangt.«
»Hören Sie«, sagte Clevenger, »ich hätte Ihnen liebend gern erzählt, dass ich trocken und clean geworden war. Ich bin stolz darauf.« Er fand, dass sie endlich aufhören sollten, um den heißen Brei herumzureden. »Ich habe meine Drogenvergangenheit in der New York Times veröffentlicht, Herrgott noch mal.«
»Nun, ganz genau«, sagte Diario. »Darauf wollte ich hinaus. Wir hatten keine Kenntnis davon, dass Sie ein ... Problem mit Alkohol hatten, von Kokain ganz zu schweigen. Wenn wir davon Kenntnis gehabt hätten, wären diese Fakten in
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