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Psychopathen

Psychopathen

Titel: Psychopathen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kevin Dutton
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von Mutter Teresa zu John Wayne Gacy, linear sein und die Straße zu moralischer Gewichtslosigkeit glatt. Und wenn nicht, dann nicht: Dann hat man die jähen Veränderungen in den Datenmustern, die Joe Newman beobachtet hat.
    Tatsächlich ist die Sache jedoch nicht so einfach, wie jeder, der schon einmal Lotto gespielt hat, bestätigen wird. Natürlich liegen die sechs Gewinnzahlen auf einem Kontinuum: einem Kontinuum von eins bis sechs. Doch die Größe des Gewinns – ob ein Zehner oder der Jackpot – ist eine völlig andere Geschichte. Die Funktion ist exponentiell, und die Fragen, welche Beziehung zum einen zwischen den Zahlen auf einem Kontinuum besteht und wie sie sich zum anderen (in diesem Fall buchstäblich) in eine »Real Life«-Währung umrechnen lassen, haben allein mit Wahrscheinlichkeiten zu tun. Die Chance, sechs Richtige zu haben (1 zu 13 983 816), unterscheidet sich nicht im selben Maße von der Chance, fünf Richtige zu haben (1 zu 55 492), in dem Letztere sich von der Chance auf vier Richtige unterscheidet (1 zu 1033). Bei Weitem nicht. Während die Dinge sich also auf einer Ebene vorhersagbar entwickeln, lässt sich das, worauf sie in einem parallelen mathematischen Universum »hinauslaufen«, nicht vorhersagen. Die Sache nimmt ein Eigenleben an.
    Zurück zum Restaurant, wo ich Scott Lilienfeld meine Theorie vorstelle: dass er
und
Joe Newman recht haben könnten. Vielleicht lässt sich die Psychopathie tatsächlich einem Spektrum zuordnen. Doch an dessen gefährlichem psychopathischem Ende scheint etwas unglaublich Krasses zu passieren. Ein Schalter scheint sich einfach umzulegen.
    »Das ist sicher eine Möglichkeit, die beiden Konzepte miteinander zu versöhnen«, überlegt er. »Und es ist zweifellos richtig, dass diejenigen, die sich am extremen Ende befinden, oft einen anderen Sprit zu brauchen scheinen als alle anderen. Aber es hängt auch von dem Ausgangspunkt ab: ob man Psychopathie in erster Linie als eine Prädisposition der Persönlichkeit oder als Informationsverarbeitungs-Störung betrachtet. Ob man von kognitiven Defiziten oder von Unterschieden im Temperament spricht. Man braucht sich nur die Sprache anzusehen, die verwendete Terminologie: Störung, Defizit, Prädisposition, Abweichung ... es wäre interessant zu wissen, was Joe dazu sagt. Haben Sie ihm Ihre Theorie vorgestellt?«
    Das hatte ich nicht. Doch nicht lange danach tat ich es.
    »Ist es möglich«, fragte ich Newman, »dass man, neurologisch betrachtet, graduelle Unterschiede entdeckt, je weiter man sich auf dem psychopathischen Spektrum – angenommen, es gibt eins – voran bewegt? Zum Beispiel Unterschiede in den Aufmerksamkeitsmechanismen des Gehirns oder den Belohnungssystemen, die in ihrem Fokus immer laserartiger werden bzw. zunehmend auf sofortige Belohnung aus sind, je psychopathischer ein Mensch ist? Und dass die Leistung beim PPI oder der PCL-R zwar linear sein mag, dies auf ihre Art, sich – vor allem bei sehr hohen Punktwerten – in geringer Gehirnaktivität zu manifestieren, vielleicht aber nicht zutrifft? Dass diese tatsächlich spektakulär exponentiell sein könnte?
    Er bekam schmale Augen. Der gerissene, alte Revolverheld war nicht in Spiellaune.
    »Klar«, sagte er. »Schon möglich. Aber der klinische Cut-off-Wert [bei der PCL-R] liegt bei 30. Und zufällig oder auch nicht ist das im Labor genau der Punkt, an dem man auf die größten Probleme stößt.«
    Er lächelte und goss sich Kaffee ein.
    »Aber es spielt auch eigentlich keine Rolle, wie man die Sache betrachtet«, sagte er. »Klinische Psychopathen sind eine sehr eigene Spezies. So oder so, sie sind anders. Stimmt’s?«

3 Carpe Noctem
    Ich hab’ gesäugt und weiß,
    Wie süß, das Kind zu lieben, das ich tränke;
    Ich hätt’, indem es mir entgegenlächelte,
    Die Brust gerissen aus den weichen Kiefern
    Und ihm den Kopf geschmettert an die Wand,
    Hätt’ ich’s geschworen, wie du dieses schwurst.
    Lady Macbeth (als sie hört, dass ihr Mann
    den Plan verwirft, König Duncan zu ermorden);
    (
Shakespeares dramatische Werke,
übersetzt von Wilhelm
    von Schlegel und Ludwig Tieck, Sechster Band,
    Leipzig und Wien o. J., 1. Akt, 7. Szene, S. 161 f.)
Die Wahl zwischen Pest und Cholera
    Am 13. März 1841 stach in Liverpool die »William Brown« Richtung Philadelphia in See. Nach fünfwöchiger Reise rammte das Schiff am Abend des 19. April 250 Meilen vor der Küste Neufundlands einen Eisberg und begann zu sinken. Mehr als dreißig Passagiere und

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