Purpurfalter
denn alles andere wäre unhöflich gewesen. Das Horchen strengte an, ebenso der Kampf gegen den Wind und die Kälte. Und so wurde sie bald schläfrig. Klavorns Stimme war ein beruhigendes Wispern. Er säuselte wie der Wind und drang bis unter ihre Haut wie der Frost. Immer öfter fielen ihre Augen zu. Einmal schweifte ihr Blick zu Mogall und Wor. Der Abstand zu ihnen vergrößerte sich. Ritten sie schneller voran oder ließ Klavorn sich absichtlich zurückfallen? Loreena hielt sich am Sattel fest, um mehr Halt zu haben. Sie gähnte, rückte ihre Kapuze zurecht und schaute nach vorn. Mogall und Wor waren außer Sichtweite. Eine Mauer aus Schnee verwehrte ihr den Blickkontakt. Doch Klavorns Stimme beruhigte sie auf eigenartige Weise. Müde schloss sie die Augen. Ihr Schimmel lief von alleine neben Klavorn her. Klavorn, dessen Stimme sie wohlig einlullte und Loreena das schreckliche Schneegestöber vergessen ließ.
Plötzlich schnalzte er. Wie aus einer Trance wachte sie langsam auf. Sie rieb sich verschlafen die Augen und bemerkte, dass sie nicht mehr ritten. Nur schwerlich glitt sie in die Realität zurück.
Klavorn stieg ab. „Ich bin in Firn geboren und kenne die Stadt besser als jeder andere. Deshalb stehe ich Mogall zur Seite.“
Mogall! Mit einem Mal war sie hellwach. Suchend schweifte ihr Blick umher. Das Corps stand vor einer großen Eiswand. Loreena schaute hinauf und konnte kein Ende erkennen. Verschneite Bäume kesselten sie ein. Nicht viele waren es; aber ein geringer Schutz gegenüber dem Sturm war besser als keiner. Der Wind säuselte durch die Baumkronen und wehte Pulverschnee zu ihnen. Die Männer sattelten ab.
„Dies ist der Nordalp Gletscher oder? Wo ist mein Vater?“
Klavorn reichte ihr die Hände und half ihr beim Absteigen. „Gallen Forst heißt diese Baumgruppe. Als Wald vermag ich das nicht zu bezeichnen. Wir befinden uns in der Tat am Fuße des Nordalps.“
Verwundert bemerkte sie, dass die Nacht bereits hereinbrach. Klavorn musste sie verzaubert haben. Die Tagesreise von Föhn in den Norden Valkenhorsts schien ihr wie im Fluge vergangen zu sein. Sie fluchte, weil sie nicht mehr die Kraft der Purpurnen Schriftrolle und keinerlei Schutz vor der Eskorte Valkenhorsts besaß. Die Vampire waren weitaus mächtiger als Loreena es sich ausgemalt hatte. Die Blutsauger konnten sie nach Firn führen und dort Frostlande zum Fraß vorwerfen. „Wo ist König Wor?“
„Er reitet mit Mogall den Ankerle Fluss entlang und am Gletscher vorbei gen Norden, um die Gegend auszukundschaften.“ Klavorn ging mit ihren beiden Pferden von dannen, um sie anzubinden.
Loreena wunderte sich. Wor war in der Lage nach einer so langen Reise noch auf einen Spähritt zu gehen? Vielleicht hatte er doch Blut in der Siedlung Föhn getrunken und erfreute sich neuer Kräfte. Möglicherweise verzauberte ihn Mogall, wie Klavorn sie verzaubert hatte. Loreena würde auf seine Rückkehr warten müssen. Warten. Das war sie gewohnt.
~~~
Finsternis breitete sich im Gallen Forst aus. Der Schneesturm zog weiter. Lediglich vereinzelte Flocken schwebten gen Waldboden. Ungewohnter Frost folterte die Männer Ingrimms. Tief in ihre ledernen Umhänge gehüllt saßen sie mit dem Rücken zum Nordalp Gletscher und warteten auf den Befehl, in Frostlande einzumarschieren. Artin versuchte ein Feuer mit schneenassen Ästen zu machen, doch Klavorn beschwor ihn, dies besser zu lassen. Zu nah befand sich das Lager an der frostländischen Grenze. Ein Feuer hätte die Aufmerksamkeit von Grenzwachen auf sie lenken können und schon wäre die Aufgabe kurz vor dem Höhepunkt gescheitert. Artin biss die Zähne zusammen. Ohne ein Wort zu erwidern schmiss er die Äste in den Schnee, schaute Loreena strafend an und setzte sich zu den anderen.
Erneut suchte ihr Blick in der Dunkelheit nach Wor. Nichts. Er war nun schon lange fort. Loreena hatte längst ihren Proviant aus den Satteltaschen genommen und gedankenversunken auf einer Wurzel herumgekaut. Schneewasser war ihre Kehle hinuntergeflossen. Ihre Stiefel hatte sie mit Schnee gereinigt und die vor Kälte roten Finger aneinander gerieben. Noch immer keine Spur von Mogall und Wor.
Die Männer schienen ihren König seltsamerweise nicht zu vermissen. Niemand sprach. Jeder war mit sich und dem Frost beschäftigt. Zwischen den schneebedeckten Tannen hockten sie auf Decken oder ihren Mantelsäumen. Selbst die Delegation aus Valkenhorst saß vermummt am Fuße Nordalps und schien mit offenen Augen zu schlafen.
Weitere Kostenlose Bücher