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Quipu

Quipu

Titel: Quipu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Vidal
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sich über das ganze Land ein riesiges Netz aus Knotenschnüren, das das kollektive Gedächtnis, aber auch die Geheimnisse und verborgenen Schätze des Inkareiches hütete. Da die Spanier die Quipus aber nicht zu deuten verstanden, machten sie ihnen Angst, weshalb sie ihre Vernichtung anordneten. Diego war Schreiber und wusste, was das bedeutete: Diese Knotenschnüre zu verbrennen kam der Zerstörung der Archive und Bücher eines Volkes, der völligen Vernichtung seiner Erinnerung gleich.
     
    |129| Eines schönen Tages wurde Diego de Acuña dann jedoch damit beauftragt, einen Steuereintreiber auf dem Königlichen Weg zu begleiten, der Cuzco mit der Küste verband. Mitten in der Einöde wurden sie von ein paar Indios angegriffen, Aufständischen aus Vilcabamba, die die Konquistadoren verunsichern wollten. Ohne viel Federlesen wurden der Steuereintreiber und seine Eskorte getötet, und Acuña wäre es um ein Haar nicht besser ergangen, hätte einer der Rebellen nicht die rote Schnur mit den verknoteten Fäden erblickt, die die junge Indiofrau verloren hatte und die Diego seitdem um den Hals trug, weil er sie für Schmuck hielt. Bei ihrem Anblick senkte der Indio augenblicklich die Waffe und zeigte sie auch aufgeregt seinen Kameraden, worauf sie den jungen Schreiber am Leben ließen und sich schnell aus dem Staub machten.
    So ging Diego auf, dass die rote Schnur kein bloßes Schmuckstück war, sondern vielmehr irgendeine wertvolle Botschaft zu enthalten schien. Dies bestätigte sich kurz darauf, als er wieder einmal die Beschwerden von ein paar Indios dolmetschte und sein Hemd sich zufällig ein wenig öffnete. Ein alter Indio erblickte die geknotete Schnur um seinen Hals, und augenblicklich rief er in einer Mischung aus Erstaunen und Bewunderung:
Yahuar quipu!,
was auf Quechua so viel wie »Blutschnur« bedeutete. Der junge Schreiber horchte auf. Doch der Indio wich den Fragen aus und bedeutete seinen Söhnen, dass er nach Hause wolle.
    Nichtsdestotrotz sprach sich die Geschichte mit der Schnur unter den Indios herum, und schon bald erzählten sie ihm Dinge, die sie keinem anderen Spanier anvertrauten. Was er aus dem Munde dieser einfachen Menschen hörte, rührte ihn zutiefst. Es waren verzweifelte Berichte über ruinierte Familien, die mit jedem Amtsmissbrauch, jeder Enteignung noch weiter ins Elend getrieben wurden. Dies alles veränderte die Haltung des Schreibers grundlegend. Schuld war die Politik des Vizekönigs Toledo. Das Leben der Indios wurde |130| zerstört durch dessen Bestreben, sie in Dörfern zusammenzupferchen, da es ihm nicht behagte, dass sie in verstreuten Gehöften in den Bergen und Schluchten lebten und dort weiterhin ihre Götzen anbeten konnten. Oftmals musste Diego herzzerreißende Szenen mit ansehen, wenn Familien sich schreiend an ihr Hab und Gut klammerten, weil sie unter keinen Umständen ihre angestammte Welt verlassen wollten, wo sie jeden Fels und jede Quelle verehrten. Und trotzdem riss man sie gewaltsam fort, machte ihre Heimstätten dem Erdboden gleich und siedelte sie in auf dem Reißbrett entworfene Dörfer um, mit Kirche, Rathaus, Gefängnis und für jeden ein Haus mit Tür zur Straße, damit man sie besser überwachen konnte.
    Oft ging der junge Schreiber abends verzagt Cristóbal de Fonseca besuchen, dem die Indios ebenso am Herzen lagen. Der Jesuit versuchte dann immer, ihn zu trösten, und riet ihm, Geduld zu haben. Aber seine Mimik verriet seine distanzierte Haltung gegenüber dem Vizekönig, denn der Leitgedanke der Gesellschaft Jesu – »Erst müssen Menschen aus ihnen gemacht werden und dann Christen« – stand im Widerspruch zu der Zwangschristianisierung. Der Orden hatte große Hoffnungen auf Ignacio de Loyolas Großneffen gesetzt. Doch der Hauptmann des Vizekönigs, Martín García de Loyola, schien in erster Linie seine eigenen Interessen zu verfolgen.
     
    »Martín García de Loyola!«, flüsterte Sebastían überrascht, »den hat mir Onkel Álvaro doch auf dem Kupferstich gezeigt, den die Jesuiten mit ›Perus christliche Monarchie‹ beziehungsweise mit ›Der Plan des Inkas‹ betitelt haben.«
     
    Das Bild, das Diego de Acuña in seiner Chronik von Martín de Loyola zeichnete, war alles andere als schmeichelhaft. Acuñas Aufzeichnungen zufolge missfiel Don Martín die Wertschätzung, die der Vizekönig dem jungen Schreiber |131| entgegenbrachte. Der Bericht der Hellebardiere, die der Dolmetscher zur Verteidigung der jungen Indiofrau in die Flucht geschlagen

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