Rachekuss
sie fragend an. Dann beugte er seinen Kopf wieder zu ihr hinunter und in diesem Moment krachte etwas gegen die Scheibe der Terrassentür. Flora zuckte zusammen und schob Yannik fort. Sie richtete sich auf, wollte aufstehen, aber er hielt sie am Handgelenk fest.
»Da war nichts«, versuchte er, sie zu beruhigen. »Vielleicht ein Vogel, der gegen das Glas geknallt ist.«
»Ich will trotzdem nachschauen.« Flora stand auf, bedeckte sich notdürftig mit ihrem Pullover und ging zur Terrassentür. Ein Sprung breitete sich längs und quer über das Glas aus und vor der Tür lag etwas. Flora öffnete, überwältigt von der Kälte, die sofort hereinströmte, und bückte sich. Mit einem spitzen Schrei sprang sie zurück.
»Igitt!«, schrie sie. »Schau mal!« Yannik kniete sich neben sie und besah angeekelt die tote Maus, die an einem blutverschmierten faustgroßen Stein festgebunden auf den Granitplatten lag.
»Das kann wirklich keine Katze gewesen sein«, sagte Flora. »Da hat uns jemand stören wollen.«
Yannik zog sie hoch und schloss die Tür wieder. Vorsichtig nahm er ihr den Pulli ab.
»Aber wir lassen uns nicht stören«, zischte er und küsste ihr Ohr. Flora fröstelte und wich vor ihm zurück.
»Aber… aber… wer kann das gewesen sein?«, fragte sie ängstlich. »Mann, Yannik, hier passieren so seltsame Dinge – da kann ich nicht einfach drüber hinweggehen.«
»Ach, das war bestimmt nur ein blöder Streich von so ein paar kleinen Furzern. Komm, es war doch gerade so schön.«
Flora nahm ihm den Pullover aus der Hand und zog ihn über.
»Ich kann das nicht. Ich kann nicht einfach weitermachen, als sei nichts geschehen. Verstehst du das nicht? Irgendwer will mich hier loswerden.«
»Ich nicht«, sagte er und hielt sie an der Hand fest. Flora spürte, wie sich alles in ihr zusammenzog. Sie wollte jetzt allein sein, sie wollte nachdenken können. Sie versuchte, sich loszumachen, aber Yannik war einfach stärker.
»Komm schon, stell dich nicht an«, sagte er und seine Stimme klang gar nicht mehr sanft. Flora blitzte ihn wütend an.
»Lass mich los«, rief sie und betonte jedes Wort einzeln. Wütend stieß Yannik ihre Hand von sich, griff nach seinem T-Shirt und der Sweat-Jacke und ging schon in Richtung Tür, während er sich noch anzog.
»Es reicht mir, Flora!« Er schrie fast. »Ich bin doch kein Spielball, den du, wie du lustig bist, durch die Gegend ballern kannst. Im Gegensatz zu manchen andern liegt mir wirklich was an dir! Aber dir ist das scheißegal, du verwöhnte, brasilianische Prinzessin. Komm du noch mal an und erwarte meine Hilfe – das kannste echt knicken! Ich hab die Schnauze voll von deinem Gezicke und Getue. Und auf deiner Party hast du sogar mit diesem ekligen Stoffi rumgevögelt – da haben dich die vielen Leute im Haus auch nicht gestört!«
»Was?« Flora schüttelte entsetzt den Kopf. Wie kam er denn auf solche Absurditäten?
»Jedenfalls hat er mir ein Foto von deinem versifften Bettzeug geschickt und sich damit gebrüstet, dass er dich flachgelegt hätte.«
»Quatsch! Bist du verrückt? Wie kannst du mir so einen Scheiß unterstellen, das ist ja wohl das Allerletzte!« Am liebsten hätte sie mit ihren Fäusten gegen seine Brust geschlagen. Sie hatte das Gefühl, sie platze gleich. Das war echt der Gipfel der Unverschämtheit. Yannik kniff die Augen zusammen und sah sie angewidert an.
»Ich geh jetzt lieber, sonst vergess ich mich noch und tu dir was an! Du bist es echt nicht wert, dass ich mir den Hintern für dich aufreiße!« Und die Tür knallte ins Schloss.
Flora blieb verwirrt stehen. Sie hatte nicht erwartet, ihn dermaßen gekränkt zu haben. Waren deutsche Jungs so? In ihrer Männlichkeit beleidigt? Und wurden dann zu solchen Schlammschleudern? Sie schlüpfte in die Plastikclogs ihrer Mutter, die an der Garderobe standen, und spurtete hinter Yannik her. Die Gartentür stand sperrangelweit offen, Flora rannte auf den Gehweg und sah die Straße rechts und links hinunter. Keine Spur von Yannik. Wahrscheinlich war er auf sein Fahrrad gesprungen und einfach fortgeweht worden.
»Was passiert?«, sagte plötzlich eine weibliche Stimme hinter ihr. Flora fuhr herum. Ihr Herz pochte bis zum Hals.
»Leonie!« Vor Erleichterung wäre sie beinahe in Tränen ausgebrochen. »Wo kommst du her?«
»Ich war bei Xenia. Sie, Marie und ich haben zusammen gelernt. Alles klar mit dir? Du siehst aus, als ob du den Satan persönlich gesehen hättest.«
»Ich, ich wusste gar nicht«,
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