Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Rachekuss

Rachekuss

Titel: Rachekuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Broemme
Vom Netzwerk:
»Mr Bleck« war um elf Uhr brechend voll. Es schien, dass alle Schüler, die nicht in die Herbstferien gefahren waren, sich hier trafen. Carina hatte schon zwei der gemütlichen braunen Klubsessel nahe am Fenster in Beschlag genommen und schlürfte ihre erste Latte macchiato des Tages. Zehn Minuten später konnte sich Flora endlich mit einem Cappuccino und einem Frischkäse-Bagel neben ihr in den Sessel sinken lassen. Carina las ganz brav in einem Mathebuch, hatte Federmäppchen und Geodreieck auf den Tisch gelegt und lutschte an einem Bleistift.
    »Boah«, stöhnte sie. »Ich weiß ehrlich gesagt nicht, wie ich den ganzen Scheiß bis zum Abi gebacken kriegen soll. Ich bin einfach zu doof dafür.« Flora grinste. »Ich dachte, du bist so gut in Mathe?«
    »Ja, aber irgendwie, dieses Jahr – dieses mistige Wahrscheinlichkeitsrechnen liegt mir gar nicht.«
    »Ich kann dir da leider nicht helfen«, sagte Flora. »Ich raff das noch viel weniger. Magst du mich ein paar Französisch-Vokabeln abhören zur Abwechslung?« Carina schüttelte den Kopf. »Ich wusste gar nicht, dass du so eine Streberin bist – wir haben doch den ganzen Tag Zeit. Sollen wir uns nicht erst mal ein Gläschen Prosecco gönnen?« Flora bildete mit Daumen und Zeigefinger eine Pistole, tat, als schieße sie auf Carina, und grinste. »Okay, you got me«, sagte sie. »Ich lad dich ein.«
    Das Gedränge an der Theke war nicht mehr ganz so schlimm und Flora kam rasch zurück. Während sie tranken, erzählte Flora, was gestern Abend geschehen war. Carina war außer sich. Sowohl wegen der Maus als auch wegen Yannik und seiner Unterstellung, sie habe etwas mit Stoffi gehabt.
    »Jetzt lass endlich die Finger von ihm«, schimpfte sie besorgt. »Merkst du nicht – immer wenn er in deine Nähe kommt, passiert irgendetwas Blödes. Ich hab echt keine Ahnung, was der für ein Spiel spielt – aber ein gutes kann’s nicht sein. Prost.« Sie streckte Flora ihr Glas zum Anstoßen hin, und gerade als sich die Gläser berührten, stieß ein Mann gegen Carinas ausgestreckten Arm. Flora quietschte erschrocken auf, als sich ein Schwall kalten Proseccos über ihre Bluse ergoss und über ihre Arme bis zur Achselhöhle spritzte.
    »Oh, Entschuldigung«, stotterte der Mann verlegen. Er war sehr dunkelhäutig, hatte kurz geschorene Haare über einem runden, freundlichen Gesicht und einen schmalen Bart, der sich unterm Kinn entlang von Ohr zu Ohr zog.
    »Pass doch auf«, meckerte Carina, aber Flora legte ihr beruhigend die Hand auf den Arm.
    »Ist schon gut, nix passiert.« Sie grinste den vielleicht 30-jährigen Mann an, der wie ein begossener Pudel vor ihr stand.
    »Oh, Pardon, Desculpa«, flüsterte er. »Soll hole ich neu Glas?«, fragte er, aber Flora schüttelte nur den Kopf.
    »Ich geh kurz aufs Klo«, sagte sie zu Carina und verschwand. Als sie zurückkam, war der Mann verschwunden und ein frischer Cappuccino stand auf ihrem Platz.
    »Danke, Schatz!«, sagte Flora und strich Carina über den Arm. »Ich glaub, der Typ eben, der Schwarze, der sprach portugiesisch«, überlegte Flora, rührte Zucker in ihren Kaffee und trank einen großen Schluck. »›Desculpa‹ heißt Entschuldigung. Witzig – wo der wohl herkam?« Carina zuckte die Schultern.
    »Keine Ahnung. Boah, ich hab so gar keinen Bock auf Mathe. Können wir heute nicht mal einen richtigen Ferientag genießen? Wir haben doch noch so viel Zeit zu lernen!«
    Statt einer Entgegnung ließ Flora Carina die Theorien der Wahrscheinlichkeitsrechnung aufsagen und las die Antworten im Mathebuch mit. Die kleinste Falschaussage wurde von ihr streng kritisiert. Doch Carina war nicht lange bei der Stange zu halten.
    »Sag mal, ich müsst noch drüben in der Drogerie Haarshampoo kaufen, kommste mit?«, unterbrach sie Flora, nahm ihr das Buch aus der Hand und stand auf. Flora streckte sich wie eine Katze und gähnte. Dann trank sie den letzten Schluck ihres Cappuccinos und erhob sich ebenfalls.
    »Hmmm, gerne, ich werd gerade ein bisschen schläfrig. Frischluft tut sicher ganz gut.« Im Hinausgehen erkannte sie an einem der Barhocker Yannik und sie sah schnell woandershin. Dem wollte sie nun gerade überhaupt nicht begegnen.
    Der Hugenottenplatz kam Flora mit einem Mal riesig vor. Sie wusste nicht, ob sie noch die Kraft haben würde, ihn zu überqueren. Irgendwie breitete sich das Wort Müdigkeit immer mehr in ihrem Kopf aus und ließ keinen weiteren Gedanken zu. Alles fühlte sich wattig an, kuschelig müde und

Weitere Kostenlose Bücher