Radikal führen
streiten die Experten noch) und in einem territorialen Handlungsrahmen von oft nur wenigen Quadratkilometern. Das ist unser biologisches Gepäck, das wirft niemand ab. Die paar tausend Jahre Kulturgeschichte vermögen unser stammesgeschichtliches Erbe jedenfalls nicht auszulöschen. Alles, was wesentlich über diesen Rahmen hinausgeht, ist im besten Sinne herausfordernd, im schlechten Sinne überfordernd. Das heißt, zur Nächstenliebe ist der Mensch anthropologisch gut vorbereitet, zur Fernstenliebe nicht. Und überschaubare Orte sind die wahren Kraftfelder. In ihnen machen wir die personale Erfahrung des gemeinsamen Weges. Karl Weick hat – in vollständigem Gegensatz zu den gängigen Unternehmenskonzepten – aufzeigen können, dass keineswegs eine gemeinsame Zieldefinition Menschen zusammenarbeiten lässt, sondern der gemeinsame Weg in einem physisch vorstellbaren Unternehmen: dem gemeinsamen Spielfeld. Dieses Spielfeld muss – soll es als Spielfeld erkennbar werden – räumlich umgrenzt sein. Erlebt werden dort das »Wie«, die Stimmung, die Atmosphäre, alles das, was zum Weg gehört.
Seit vielen Jahren wird in der Managementtheorie über die optimale Firmengröße nachgedacht, über Einheiten und Unter-Einheiten, über das Verhältnis von Zentralität und Dezentralität – bis hin zur Diskussion über »Too big to fail«. Meist wird dabei über Skaleneffekte diskutiert, über Effizienzvorteile, über globalisierte Märkte. Niemand bestreitet, dass manche Güter und Dienstleistungen im Großunternehmen billiger werden. Dieser Größenvorteil wird aber oft von den Kosten der inneren Komplexität aufgefressen.
Der Pharmariese Pfizer ist ein Paradebeispiel dafür, dass größer nicht gleich besser ist. Pfizer schluckte einen Konkurrenten nach dem anderen. Nach jeder Fusion blähte sich das Unternehmen strukturell immer weiter auf, wurde bürokratisch und unflexibel, dauernd beschäftigt mit Integrieren und Umstrukturieren. Darüber verlor es seine Innovationskraft – und in der Pharmabranche kommt es vor allem darauf an.
Es ist eine der größten Schwierigkeiten zu entscheiden, unter welchen Raum- und Größenbedingungen Zusammenarbeit eher wahrscheinlich denn unwahrscheinlich wird. Und welchen Begriff von Zusammenarbeit man dabei zugrunde legt. Das beginnt bei Grundsätzlichem: Arbeitsteilung legitimiert Ignoranz. Wenn man die Zuständigkeit breit streut, erzeugt man eine Geht-mich-nichts-an-Haltung. Die Menschen fühlen sich strukturell eingeladen, zunächst sich um sich selbst zukümmern – und nicht um das Wohl des Ganzen. Je größer aber ein Unternehmen oder eine Unternehmenseinheit ist, desto verbreiteter ist diese Haltung – und desto beharrlicher müssen Führungskräfte dem entgegenarbeiten. Natürlich wissen Ihre Mitarbeiter, was sie bei ihrer Arbeit zu tun haben. Der organisatorische Gesamtprozess ist hingegen nicht immer allen transparent. Wohin gehen meine Ergebnisse? Wozu tragen sie bei? Was erleichtert den Kollegen die Arbeit?
Und auch: Sind die anderen ebenso zur Zusammenarbeit bereit? Denn der Mensch ist ein reziprokes Wesen. Das heißt, dass er sich umso eher einer Norm entsprechend verhält, je mehr der Eindruck vorherrscht, dass andere dies auch tun. Auf diese Weise gibt die Umgebung ein Signal über die Geltung von Normen. Zusammenarbeit muss also zwischen den Mitarbeitern »sichtbar« sein.
Damit wird klar, dass Organisationen umso besser zusammenarbeiten, je mehr in ihrem Inneren Zusammenarbeit beobachtet werden kann. In diesem Fall wird unkooperatives Verhalten als nicht der Norm entsprechend bemerkt und sanktioniert. Die Reziprozität in einem funktionierenden kooperativen Unternehmen wirkt disziplinierend. Je ausgeprägter das beobachtbare kooperative Verhalten der anderen, desto größer die Identifikation des Einzelnen mit dem Ganzen.
Aus dem Gesagten ergeben sich neue Gesichtspunkte für eine Unternehmenspolitik der »kleinen Einheiten«. Kleinere organisatorische Einheiten sind strukturell besser in der Lage, Zusammenarbeit zu erzeugen. Aber: Kleinere Einheit, größerer Erfolg – gilt dies immer? Nein, das ist nicht der Fall. Vielleicht kommen wir weiter, wenn wir Zusammenarbeit vom Kunden her denken. Kleine Einheiten mit relativ hoher Autonomie sind sinnvoll bei der notwendigen Anpassung an den Kunden vor Ort. An den Kunden, der so unterschiedlich ist, wie er immer war und immer sein wird. Große Einheiten sind es dagegen bei global aufgestellten Kunden –
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