Rasterfrau: Knobels achter Fall (Krimi im Gmeiner-Verlag) (German Edition)
und er verzichtete darauf, mit seiner Witwe Annemarie sprechen zu wollen. Die Brandstätters waren in dem ganzen Fall die unauffälligsten Zeugen, und es war unzweifelhaft, dass sie mit ihrer Aussage wahrheitsgemäß bekundet hatten, was sie damals im Rombergpark gesehen und gehört hatten.
Stephan verließ unverrichteter Dinge das Altersheim, doch eigenartigerweise störte ihn dies nicht. Er wurde noch immer von seinem Glücksgefühl getragen, machte im Auto das Radio lauter, bis die Musik dröhnte und merkte, dass ihm das Schicksal des Maxim Wendel jetzt ziemlich egal war.
9
»Du fliegst ja förmlich auf diesen Trost«, wunderte sich Marie, nachdem Stephan ihr alles erzählt hatte. »Ich erinnere mich an die Zeit«, fuhr sie nach einer Weile nachdenklich fort, »als du dich mit allem Nachdruck nur gegen die Vorstellung gewehrt hast, irgendwelchen Sport-, Musik- oder Taubenzuchtvereinen beizutreten, um Kontakte zu knüpfen, aus denen vielleicht einmal ein Mandat erwachsen könnte. – Und was tust du jetzt?«
»Die Kontakte und die Chancen, die Dr. Trost bietet, bewegen sich auf einem ganz anderen Niveau«, gab Stephan abgeklärt zurück. »Wo bin ich denn angelangt?«, fragte er rhetorisch und ließ seiner überschäumenden Frustration freien Lauf.
»Ich arbeite unwirtschaftlich, weil bei den meisten Fällen die Relation zwischen Aufwand und Ertrag nicht stimmt. Etliche Mandate stammen von vermeintlich guten Freunden. Es sind Menschen, die ich von irgendwoher kenne, sich aus heiterem Himmel bei mir melden und mir nach der ohnehin nicht ernst gemeinten Frage nach meinem eigenen Befinden ihr Rechtsproblem andienen, das sie selbstverständlich gratis gelöst wissen wollen. Geradezu süffisant wird dann noch unterstellt, dass mir die Lösung dieses Falles doch bestimmt Spaß mache, weil ich aus unerfindlichen Gründen diesen Beruf und somit die Probleme anderer Menschen lieben müsste. Es kommt gar keiner darauf, dass ich damit Geld verdienen will und muss. Beschäftige ich mich dann mit diesem Blödsinn, kann ich letztlich nur verlieren. Denn wenn ich diese tollen Freunde richtig berate, gilt die Leistung als selbstverständlich. Greife ich daneben, gelte ich als Trottel und kassiere zusätzlich jede Menge Negativwerbung. Das ist der Unsinn meines beruflichen Lebens, Marie!«
Marie schwieg. Es gab nichts zu relativieren oder zu beschönigen. Sie verachtete wie er jene Zweckfreunde, die sich aus bloßem Eigennutz andienten und sich nicht einmal sonderlich bemühten, ihre wahren Absichten zu kaschieren.
»Und bei dieser Gelegenheit«, holte Stephan weiter aus: »Es widert mich an, im Wesentlichen von deinem Geld leben zu müssen und meiner Familie nicht mehr geben zu können als einen unregelmäßigen Zuschuss zu deinem Gehalt, dessen Höhe ganz allein davon abhängt, inwieweit sich die Mandanten, die überhaupt zahlen, bequemen, ihren Verpflichtungen nachzukommen. Es hängt mir zum Hals raus!«
»Und bei Trost ist alles anders?«, fragte Marie weich. Sie wusste, wie sehr die angespannte wirtschaftliche Situation an seinem Selbstbewusstsein nagte.
»Heute geht es überall nur um soziale Netzwerke«, sagte Stephan. »Dr. Trost hat doch recht, wenn er sagt, dass sich die Gesellschaft verändert hat. Man muss wissen, wo man hingehört«, rekapitulierte er.
»Ein Taubenzuchtverein auf hohem Niveau?«, hakte Marie nach und hoffte, ihn mit dieser Provokation sensibilisieren zu können.
»Eine Gesellschaft in der Gesellschaft«, sagte Stephan fest. »Dr. Trost hat erkannt, dass man auf Dauer nur überleben kann, wenn man sich mit denen zusammenschließt, mit denen man auf Augenhöhe ist. Nur dann kann es ein Geben und Nehmen geben, wovon jeder profitiert. Mich kotzen diese Ausnutzverhältnisse an, diese sozialen Einbahnstraßen.«
»Vielleicht siehst du die Dinge im Moment zu einseitig«, meinte sie.
»Ich meine es sehr ernst«, bekräftigte Stephan. »Schau dich doch um! Überall sondern sich die, die was können und leisten wollen, von den anderen ab. Man muss sich nach oben und nicht nach unten orientieren. Unsere Gesellschaft schaut nach unten. Der kleinste gemeinsame Nenner kann nur unten sein, aber dort darf nicht unsere Basis sein.«
»… sagt dein Dr. Trost«, vollendete Marie.
»Nein, das sage ich«, beharrte Stephan. »Dr. Trost sagt lediglich das, was alle denken. Und meine eigene Erfahrung zeigt mir, dass er recht hat.«
»Ich glaube nicht, dass dies der richtige Weg ist«, hielt Marie dagegen. Sie
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