Rasterfrau: Knobels achter Fall (Krimi im Gmeiner-Verlag) (German Edition)
verkuppeln«, höhnte Stephan. »Die Eliten wollen unter sich bleiben. Ich begreife jetzt, dass sie unter sich bleiben müssen .«
»Vielleicht wirst du irgendwann auf deine Eliten zurückgreifen müssen«, bellte Marie. »Wenn du erkannt hast, dass du von ihnen abhängig bist.«
Dann lief sie aus dem Zimmer und knallte die Tür zu.
Es gab Worte, die leichtfertig ausgesprochen und nur schwer zurückzunehmen waren. Stephan sah sich auf der Verliererstraße. Warum wollte Marie nicht erkennen, dass Trost eine Rettungsleine bot, an der er sich nach oben ziehen konnte?
10
Der Richter August Froog saß seit rund zwei Jahren nicht mehr dem Schwurgericht vor, sondern hatte nach dem neuen Geschäftsverteilungsplan des Landgerichts nun den Vorsitz der 17. Zivilkammer inne. Marie war mit ihrem Deutsch-Leistungskurs pünktlich am Mittwochmorgen um neun Uhr an der Pforte des Landgerichts erschienen, wo ein Justizwachtmeister die angemeldete Gruppe empfing und die eigenartig ehrfürchtig Schülerinnen und Schüler einzeln durch die Personenschleuse leitete, in der Metalldetektoren das Mitführen unerlaubter Gegenstände prüften. Marie wusste, dass sie sich um mangelnde Disziplin in ihrer Schulklasse keine Sorgen machen musste. Das Wissen, einer Gerichtsverhandlung beiwohnen zu dürfen, flößte Respekt ein. Die Schüler tuschelten verhalten untereinander, blieben ungewohnt wohlgeordnet nebeneinander und wirkten auf diese Weise unnatürlich kindlich. Marie schmunzelte darüber, wie einträchtig sie dem Justizwachtmeister in die zweite Etage folgten, der seinerseits wegen seines kurzärmeligen grünen Diensthemdes die deutliche Tätowierung auf seinem rechten Unterarm nicht verdecken konnte, die die machtgeschwängerte Gerichtsaura ungewollt ein Stück weit entzauberte.
Vor dem Sitzungssaal mahnte der Justizwachtmeister dienstbeflissen seine Gefolgschaft mit auf die Lippen gelegtem Zeigefinger zur Ruhe. Als alle in Reih und Glied vor ihm standen, öffnete der Justizwachtmeister die Tür zum Sitzungssaal langsam und fast geheimnisvoll wie eine Pforte, die den Eintritt in eine andere Welt eröffnete, und bedeutete mit gewichtiger Geste, still einzutreten. Maries Schüler huschten förmlich in den Saal und verteilten sich lautlos auf die reichlich vorhandenen Zuhörerstühle im Saal. Zuletzt trat Marie ein, vergewisserte sich, dass alle einen Platz gefunden hatten und setzte sich selbst nahe der Tür hin.
Vorn saß August Froog, der sich gerade mitten in einer Verhandlung in einer Zivilsache befand. Marie musterte den Vorsitzenden, den sie auf Mitte 50 schätzte, und mit seinem korrekt gescheiteltem grauen Haar und seiner Brille mit den kreisrunden Gläsern, in denen sich die durch die Saalfenster scheinende Sonne blitzend spiegelte, eine gewollte Strenge und Unnahbarkeit verkörperte.
Maries Schüler lauschten aufmerksam den Wortwechseln zwischen dem Gericht und den Parteien und konnten inhaltlich doch nicht folgen. Laien konnten sich unter Gerichtsverhandlungen meist nur solche in Strafsachen vorstellen und verstanden nicht, was ein Zivilverfahren war. Marie selbst hatte ihr Grundwissen darüber von Stephan vermittelt bekommen, und nach einigen Minuten konzentrierten Zuhörens konnte sie einordnen, worum es ging: Die Klägerin, eine aus Sachsen stammende einfache Frau, von Beruf Reinigungsfachkraft, klagte gegen ihre Krankenversicherung, die den mit der Frau bestehenden Krankenversicherungsvertrag gekündigt hatte, weil die Frau bei Vertragsabschluss Vorerkrankungen verschwiegen haben soll, über die sie die Versicherung hätte aufklären müssen. August Froog, angesichts der zahlreichen Zuhörer in besonderer Weise motiviert, vertiefte sich weiter in den Fall und nahm die Klägerin ins Visier.
»Wenn Sie zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses mit der Krankenversicherung unter sexuellen Störungen im Verkehr mit Ihrem Mann litten, die nach Diagnose Ihres Arztes Folge einer Störung Ihres Nervensystems waren, hätten Sie im Antragsformular auf Abschluss des Krankenversicherungsvertrages darauf hinweisen müssen«, formulierte Froog scharf und lehnte sich zurück
Marie wunderte sich, welche Fragen hier öffentlich erörtert wurden.
»Aber ich wusste doch gar nichts«, verteidigte sich die Klägerin hilflos.
»Sie hätten wissen müssen«, belehrte August Froog, rollte mit den Augen und beugte sich wieder vor. »Waren Sie denn niemals vorher beim Arzt?«
»Doch!«, antwortete die Klägerin.
»Und? Geht man nur so zum
Weitere Kostenlose Bücher