Reispudding mit Zimt (German Edition)
„Seaview“ kenne? Es ist das erste Haus am Platz. Wenn ich mich nicht sehr irre, hat der Chef sogar einen Michelin Stern. Es liegt ganz am Ende der Promenade auf einer Art Hügel. Dadurch hat es einen atemberaubenden Blick über ganz Aldeburgh und natürlich das Meer.
„Klar“, sage ich.
„Man sagt, der Chef habe letzte Woche seinen Sous Chef heraus geworfen. Das heißt, der Kerl ist wohl freiwillig gegangen, nachdem der Chef mit einer ganzen Pfanne voll angebrannter Jakobsmuscheln nach ihm geworfen hat. Adrian Grantley ist ein ziemlich jähzorniger Mann.“
„Hm“, sage ich. Und was hatte das mit mir zu tun?
„Denk nach, Mädchen“, sagt Freddy. „jetzt ist Sommer. Hauptsaison. Adrian kann den Laden unmöglich mit reduzierten Personal schmeißen. Ich an deiner Stelle würde mich dort mal vorstellen.“
Ich spüre, wie mein Puls sich beschleunigt. Freddy hat Recht. Dies könnte meine Chance sein.
Mit einem Mal stelle ich mich auf meine Zehenspitzen, lege meine Arme um den alten Seebären und drücke ihm einen Kuss auf die kratzige Backe. „Du bist ein Schatz, Freddy. Genau das werde ich machen.“
Ich renne nach Hause, brause mich in Gladys und Lens Wanne mit der unmöglichen Handdusche ab, (die man nur im Hocken benutzen darf, weil sonst das ganze Bad überschwemmt wird), föhne mir meine Haare, ziehe mir etwas Adrettes an und eile mit pochendem Herzen zum „Seaview“.
Dort ist noch geschlossen. Ich zupfe meine Kleidung zurecht, kämme mit den Fingern nochmal durch meine Haare und drücke auf den Klingelknopf.
Es dauert eine Weile, bis jemand kommt. Ein hagerer Jüngling in karierter Hose, weißer Jacke und einem Käppchen auf dem Kopf öffnet die Tür und sieht neugierig heraus.
„Wir haben noch geschlossen“, sagt er. Seine Stimme quietscht pubertär. Wie alt mag er sein? Vermutlich nicht älter als fünfzehn.
„Ich weiß“, antworte ich, „ich komme auch nicht zum Essen. Ich möchte bitte deinen Chef sprechen.“
„Worum geht's“, fragt der Hagere.
„Das bespreche ich lieber mit ihm selber.“
Der Jüngling schließt die Tür vor meiner Nase und verschwindet wieder.
Ich warte noch länger und trete dabei mit einem Fuß auf den anderen. Noch nie habe ich mit einem echten Sternekoch gesprochen. Was wird er von mir halten? Wird er mich acht-kantig heraus schmeißen? Ich bin ziemlich nervös.
Nach einer gefühlten Stunde, es waren wohl nur zehn Minuten, öffnet die Tür sich wieder.
Ein großer, imposanter Mann mit einem edlen Gesicht und einer geraden Nase sieht auf mich herab. Seine Kochmütze macht ihn optisch noch größer und ich fühle mich wie ein Zwerg. Ein kleiner, frecher Zwerg, der sich traut, einen Riesen anzusprechen.
„Mein Name ist Anna Mauritz“, piepse ich. Dann räuspere ich mich und sage mit festerer Stimme: „Ich kann kochen und suche Arbeit.“
Der Riese setzt seine Mütze ab und fährt sich mit der Hand durch seinen kurzen, dunklen Haarschopf. Dann setzt er die Mütze wieder auf. Sein Blick ist irgendwie ratlos.
„Tja, Anna Mauritz“, sagt er und winkt müde mit einer Hand ins Restaurant, „dann komm halt rein. Dann sehen wir mal weiter.“
Ich betrete gesittet den Gastraum, obwohl ich innerlich fast explodiere.
War das ein „Ja“? Bedeutet das: „Ja, Anna Mauritz, du kannst hier anfangen?“
Ich bremse mich. Nein, der Mann hat nur „dann sehen wir mal weiter“ gesagt.
Der Gastraum ist wahnsinnig schön und elegant. Die großen Fenster mit dem Meeresblick haben duftige weiße Gardinen rechts und links, die gekonnt drapiert sind. Auf den Tischen liegen frischgestärkte blütenweiße Tischdecken, die bis zum Boden hängen. Der Teppich ist blaugemustert, so blau wie das Meer, das draußen leuchtet. Es ist schon eingedeckt. Glasleuchter halten schlanke blaue Kerzen. Das Morgenlicht funkelt auf edlem Kristall, blitzendem Silber und schneeweißem Porzellan. Fast fühlt es sich an, als wäre man in eine Art heidnisches Heiligtum eingetreten.
„Ist das schön“, flüstere ich.
„Du musst nicht flüstern“, sagt der Chef, „komm lieber durch zur Küche, da trinken wir eine Tasse Kaffee und du kannst dich mir vorstellen.“
Der hagere Jüngling steht in der Küche und schnippelt Möhren. Als wir eintreten wischt er sich mit dem Handrücken über die Stirn, nickt uns zu und schnippelt weiter.
„Das ist Gregory“, sagt der Chef, „er macht hier seit Dezember eine Lehre.“
„Hallo Gregory“, sage ich.
„Setz dich“, sagt der Chef. In
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