Reispudding mit Zimt (German Edition)
und rühren.
Aber am Abend wackeln nur zwei Ehepaare in das Lokal. Es sind Senioren, die teuer angezogen sind und offensichtlich Geld haben. Sie besetzen zwei Tische vorne an den Fenstern mit Meeresblick. Heute ist Nadine nicht überfordert, denn es gibt für sie kaum etwas zu tun. Eine ganze Weile sitzt sie am Personaltisch und spielt mit ihrem Smartphone. Auch Gregory und ich haben es im Laufe des Abends ziemlich ruhig.
Adrian bringt die Speisen mit gewohnter Kunstfertigkeit und Perfektion auf die Teller, und die Gäste scheinen einigermaßen zufrieden zu sein. Aber im Lokal herrscht gähnende Leere.
Nach Feierabend erkundige ich mich bei Nadine, wie hoch die Rechnungen der Gäste gewesen seien.
„Das eine Paar hatte die Suppe, das Rinderfilet und das Dessert“, erinnert sie sich, „Mit Getränken belief sich seine Rechnung auf 80 Pfund. Die Anderen hatten nur den Fisch und einen Salat. Ich glaube, das waren insgesamt etwa 30 Pfund.“
Ich rechne zusammen. Das sind ganze 110 Pfund an Einnahmen an einem Abend. Wenn Gregory und ich in dem teuren Geschäft eingekauft hätten, hätte Adrian an diesem Abend nur 10 Pfund verdient! Wenn man den Verdienst auf uns vier umlegt, sind das nur 5 Pfund Verdienst pro Person. Das ist schlicht und einfach eine Katastrophe.
Gut, es ist Dienstag, und am Wochenanfang gehen wohl nicht so viele Leute „groß“ essen. Aber es ist Sommer, es ist Hauptsaison, und Aldeburgh wimmelt nur so vor Touristen. Ich bin überzeugt davon, dass es heute Abend im „Black Anchor“ gerammelt voll war und der schmierige Humphrey wieder einen satten Gewinn eingefahren hat.
Gregory spült die Töpfe und schrubbt die Pfannen. Ich kontrolliere den Kühlschrank.
„Chef“, sage ich Adrian, der gerade seine Kochuniform abstreift, um sich zurückzuziehen, „Hier sind noch vier Filets und eine ganze Packung Jakobsmuscheln. Was soll ich damit machen? Benutzen wir die morgen?“
Er schnauzt: „Bist du verrückt? Ich will doch meine Gäste nicht vergiften. Dann hätte ich noch mehr Ärger, als ich sowieso schon habe.“ (Aha, denke ich). „Die Muscheln schmeißt ihr weg, wie immer. Die Filets nehme ich für Liz mit. Die essen wir selbst. Du kannst meinetwegen auch eins für deine Mietleute mitnehmen.“
Die Muscheln schmeißt ihr weg, wie immer.
Das lässt tief blicken.
Ich kann nicht anders; ich räuspere mich und sage: „Ist das nicht eine ziemliche Verschwendung?“
Hätte ich es doch lieber nicht getan, denn jetzt platzt Adrian der Kragen: „Anna, du meinst wohl, du wärst so wahnsinnig klug und wüsstest genau, wie ein Restaurant zu führen geht. Darf ich dich darauf aufmerksam machen, dass du absolut keine Erfahrung hast, und dass du mir enorm vorlaut vorkommst? Du äußerst dich hier zu Dingen, von denen du gar nichts, aber auch gar nichts verstehst.“
Ich könnte genau so gut in Hamburg sein. Er klingt genau wie mein Vater. Oh Mann, so habe ich mir das nicht vorgestellt.
Ich weiß, dass ich viel riskiere, aber mein Widerspruchsgeist meldet sich nun doch zur Stelle.
„Sorry, Chef“, sage ich, „ich wollte mich mit Ihnen bestimmt nicht anlegen. Bestimmt haben Sie Recht. Aber ich meine nur, dass man vielleicht auch mit einer einfacheren Küche und mit preiswerteren Produkten seine Gäste verwöhnen könnte.“
„Ha!“, sagt er, „Das ist ja mal ein toller Witz. Das Seaview renommiert mit 'einfacher Küche' und 'preiswerten Produkten'. Du hast wirklich gar keine Ahnung. Schlag mir mal so ein einfaches Produkt vor. Wie sähe das deiner Meinung nach aus?“
Okay. Zumindest redet er noch mit mir. Das ist doch schon mal positiv.
„Zum Beispiel die Desserts, Chef. Die enthalten alle irgendwelche exotischen Zutaten, die in der Anschaffung teuer sind. Kumquats. Pecannüsse. Armagnac.“
„Das erwarten die Gäste von uns. Aber wenn du so klug bist, schlag mir mal etwas anderes vor.“
„Warum kann es nicht einfach mal ein schlichter, aber exquisit zubereiteter Reispudding sein? Dafür braucht man nur Reis, den kriegt man für ein paar Pence, Zucker, Milch und Zimt.“
Adrian sieht mich an, als zweifele er an meinem Verstand. „Reispudding im Sternerestaurant? Bist du noch zu retten?“
„Reispudding kann einfach fantastisch schmecken, wenn er perfekt zubereitet wird. Ich würde es Ihnen zu gerne beweisen.“
Adrian schüttelt seinen Kopf. „Den letzten Reispudding habe ich bei meiner Oma am Küchentisch gegessen, und der schmeckte mir nur, weil es sonst keinen Nachtisch
Weitere Kostenlose Bücher