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Retra – Insel der Schatten: Roman (German Edition)

Retra – Insel der Schatten: Roman (German Edition)

Titel: Retra – Insel der Schatten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marianne de Pierres
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Cal entdeckte. Sie tanzte allein in den Nebeltrichtern, die die Lüftungsschächte in den Wänden ausstießen. Frische Tattoos schmückten ihre Arme und den Hals, doch ihre Miene war säuerlich.
    »Cal?«
    Sie richtete den Blick auf Retra, ohne sie wirklich anzusehen. »Was ist?«
    »Ich bin’s, Retra. Die Seal.«
    Langsam malte sich ein Erkennen auf Cals Gesicht. »Du? Allein?« Sie sah sich vage um. »Wo ist denn dein Schatten? Dieses Mädchen?«
    »Suki wartet in der Station. Sie wollte nicht mitkommen – nachdem die Nachtwesen den Jungen geholt haben.«
    Cal machte ein erstauntes Gesicht. »Ich dachte, sie wäre dieser Ich-bin-so-mutig-mir-ist-alles-egal-Typ.«
    »Sie ist schon mutig«, sagte Retra, um ihre Freundin zu verteidigen. »Aber dort, wo sie herkommt, glaubt man an Omen.« Ihr Blick glitt zum anderen Ende der Tanzfläche und dem Flur, der zur Rückseite des Clubs führte. »Vielleicht hat sie recht. Suki hat gehört, dass die Riper Markes mitgenommen haben.«
    »Wer hat ihr das gesagt?«
    »Ein paar Mädchen. Bei der Beichte in Vank.«
    »Und wenn schon? Sie haben ihn aus gutem Grund mitgenommen. Nicht, um ihm was anzutun. Außerdem: Was geht dich das an?«
    »I-ich … unter den Ripern gibt es ein paar, denen man nicht vertrauen kann. Ich wollte ihn warnen.«
    »Er ist beim Jugendkomitee, und die kennen sich hier bestimmt besser aus als du.« Cal lächelte höhnisch und drehte sich zur Seite.
    Retra verließ den Club und fand Suki und Rollo am äußeren Ende des Bahnsteigs. Suki starrte ins Dunkel, und Rollo starrte Suki an.
    »Geh nicht zu nah an den Rand«, sagte Retra zu ihrer Freundin.
    »Normalerweise sage ich solche Sachen zu dir.« Sukis Augen waren dunkel von Eyeliner und ihr Blick melancholisch. »Glaubst du, er ist tot?«
    »Wer? Der Junge … der, den die Nachtwesen …«
    Suki nickte.
    Retra zögerte erst einen Augenblick, dann sagte sie: »Du hast gesehen, was wir alle gesehen haben. Das Blut und alles …«
    »Vielleicht töten sie dich nicht. Vielleicht behalten sie dich einfach bei sich dort draußen.« Sie schauderte. »Das wäre noch schlimmer.«
    »Hast du etwas herausgefunden?«, fragte Rollo.
    »Ich habe Cal gesehen. Sie sagte, Markes wäre beim Jugendkomitee.«
    Rollo warf Retra einen vielsagenden Blick zu.
    »Wir sollten uns beeilen. Weißt du, wo sie sich treffen?«, fragte Retra.
    »Wir müssen in die Danskoi-Linie umsteigen und dann an einer Haltestelle, die Syn heißt, aussteigen. Das ist alles, was ich weiß«, sagte Rollo.
    Als Retra die Kabel knarren hörte, zog sie Suki am Arm. »Komm mit. Wir gehen.«
    In Illi stiegen sie um. Schweigend saßen sie da, während die Gondel den Berg hinaufzuckelte. Retra starrte aus dem Fenster. In der klaren Luft schimmerten die Lichter wieder wie ein nächtlicher Regenbogen. Eigentlich sollte … könnte der Anblick schön sein, wenn sie in der Lage wäre zu vergessen, was sie in der Dunkelheit gesehen – oder besser gehört – hatte.
    Als die Kabine zum Stehen kam, stieg Retra als Erste aus, erst gefolgt von Suki, dann von Rollo. Auf dem Schild, das an Ketten des Treppengeländers hing, stand »Syn«.
    »Das ist übrigens Latein. Es bedeutet ›zusammen‹«, sagte Rollo.
    »Du kannst Latein?«, fragte Retra.
    Verlegen zuckte er mit den Schultern. »Klar. Alle Ratskandidaten lernen so was. Sonst kann man doch nicht aus dem Gesetz zitieren: abusus non tollit usum .«
    »Ich kann auch Latein«, sagte Suki. » Küss meinen Pupu .« Sie klopfte sich auf den Po.
    Die beiden brachen in Gelächter aus und klatschten sich mit erhobenen Händen ab. Retra lachte nicht mit.
    Sie gingen die Treppe hinunter, bis sie vor einer Tür aus Holz und Eisen standen. Mit einer spöttischen Verbeugung hielt Rollo sie für Suki und Retra auf. Doch statt in einen Club oder eine Kirche führte sie in einen einfachen, mit Holz verkleideten Raum, der sich zu einem Gang im Fels verengte.
    Rollo ging vor. Er bückte sich, um nicht mit dem Kopf an der Steindecke anzustoßen. Immer wieder mussten sie nach ein paar Schritten anhalten und sich gegen die Wand drücken, um andere, die ihnen entgegenkamen, vorbeizulassen.
    Als sich der enge Gang abwärtsneigte, zogen Retra und Suki ihre Schuhe aus, um mit den hohen Absätzen auf dem unebenen Boden nicht ins Stolpern zu geraten. So gingen sie, bis Retras Rücken vom Bücken wehtat und Suki leise fluchte.
    Das Ende kam recht plötzlich.
    Nach einer Kurve stießen sie auf eine majestätische, aber gespenstische Höhle, die

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