Richard Wagner - Werk, Leben, Zeit
triumphiert über Venus Cypria. Freilich wird auch die Welt der Konvention – die mittelalterliche Wartburggesellschaft und die Kirche – ins Unrecht gesetzt. Die göttliche Gnade setzt sich über ihre starren Normen hinweg und verzeiht dem Sünder. Tannhäuser nimmt so eine merkwürdige Mittelstellung ein zwischen Wagners zweiter und seiner letzten Oper: mit einem Auge blickt er noch zum Eroskult des Liebesverbots zurück, mit dem anderen auf das Entsagungsethos des Parsifal voraus. In seinem Brief an August Röckel vom 23. August 1856 hat Wagner bereits von der »hohen Tragik des Entsagens« im Tannhäuser gesprochen, die er nun im Sinne Schopenhauers in der »einzig erlösenden Verneinung des Willens« sieht (SB VIII, 152). Das Drama von dem ins Mittelalter zurückversetzten jungdeutschen Künstler, der auszog, in der ›exilierten‹ Sinnenwelt der Antike die Emanzipation des Fleisches zu lernen, verwandelt sich am Ende des zweiten Aufzugs in eine Entsagungs- und Erlösungsoper.
Abb. 12 : Richard Wagner, gezeichnet von Auguste Renoir, vor 1880
Als eine solche Erlösungsoper steht Tannhäuser in deutlichem Kontrast zu Wagners folgender Oper Lohengrin , mit der er sich vom Genre der romantischen Oper für immer verabschiedet. Sie bleibt als einziges Bühnenwerk Wagners ohne ›Verklärungs‹- oder ›Erlösungsschluss‹; alle späteren Musikdramen, auch die mit dem Kataklysmus des bestehenden Weltzustandes endende Götterdämmerung , lassen ja die Ho ff nung auf einen neuen Zustand der Welt aufscheinen. Lohengrin hingegen ist von einer Tragik ohne Katharsis geprägt, bleibt, so Wagner selber in einem Gespräch mit Cosima »über das Tragische im Lohengrin « am 11. November 1880, gänzlich »ohne Versöhnung« (CT II, 619).
Abschied von der romantischen Oper – Lohengrin
Wagners letzte »romantische Oper« Lohengrin (WWV 75), deren Sto ff auf Wolframs von Eschenbach Parzival und das anonyme Lohengrin-Epos des späten 13. Jahrhunderts zurückgeht, ist zwischen Juli und November 1845 als Dichtung vollendet worden; die Komposition fällt in die Jahre 1846–48 (April). Natürlich war die Uraufführung der Oper für Dresden vorgesehen, und eine konzertante Aufführung des Schlusses des ersten Aktes unter Wagners Leitung am 22. Oktober 1848 sollte auf sie vorbereiten, doch aufgrund von Wagners Beteiligung am Maiaufstand 1849 und seiner Flucht aus Dresden sollte es dazu nicht mehr kommen. Im August 1850 – am Geburtstag Goethes – erlebt das Werk unter Franz Liszt seine Uraufführung in Weimar, in Abwesenheit des steckbrieflich gesuchten Komponisten. Dieser wird erst elf Jahre später an der Wiener Hofoper seine letzte romantische Oper auf der Bühne sehen. Lohengrin ist die erste Oper, mit deren einmal vollendeter Gestalt er zufrieden war, die erste, von der er sich nicht lossagte – wie von seinen drei ersten Opern – oder die er nicht immer wieder zu bearbeiten strebte, wie den Fliegenden Holländer und zumal den Tannhäuser.
Lohengrin weist in mehr als einer Hinsicht auf Wagners erste romantische Oper Die Feen zurück. Hier wie dort geht es um eines der Hauptthemen dieses Genres: von E. T. A. Ho ff mann über Carl Maria von Weber bis Heinrich Marschner: die tragische Begegnung zwischen Geister- und Menschenwelt. Schon das Frageverbot verbindet Die Feen und Lohengrin : »vor allem magst acht Jahre lang / du nimmer fragen, wer ich sei!« (SS XI, 9) So die Fee Ada zu ihrem menschlichen Geliebten. Lohengrin ist das männlich-ritterliche Pendant der Undine: wie sie sehnt er sich aus der außermenschlichen Welt nach der Liebesbindung im menschlichen Leben. Doch die Verbindung mit der irdischen Sphäre endet ebenso tragisch wie in E. T. A. Ho ff manns Undine (1816) und Heinrich Marschners Hans Heiling (1833).
Die Besonderheit des Lohengrin besteht in der geglückten Verbindung von Mythos und Historie. Das Romantisch-Märchenhafte wächst wie in den Märchen von E. T. A. Ho ff mann aus dem Geschichtlich-Realen hervor, um dessen Authentizität Wagner, gestützt auf Jacob Grimms Deutsche Rechtsaltertümer (1828), peinlich bemüht war. Sieht man vom Sonderfall der musikalischen Komödie, der Meistersinger , einmal ab, so hat Wagner nach dem Lohengrin die Historie aus dem musikalischen Drama konsequent ausgeschlossen. Die theoretische Begründung dafür hat er in Oper und Drama gegeben. Hier werden Mythos und Geschichte streng voneinander getrennt – ihre jeweilige Eigenart verträgt nach Wagner keine
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