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Risse in der Mauer: Fünf Romane (German Edition)

Risse in der Mauer: Fünf Romane (German Edition)

Titel: Risse in der Mauer: Fünf Romane (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lars Gustafsson
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das in 22 Punkten erschöpfend Auskunft geben werde über die Ansprüche, die man heutzutage an ein Gedicht mit dem Niveau von T.S. Eliots »Waste Land« stellt.
    Ich legte den Hörer mit dem zähen Nachdruck auf die Gabel, mit dem der Held eines Dschungelfilms die Erwürgung einer lebensgefährlichen Boa Constrictor beendet.
    In diesem Augenblick rief Tor Nilsson, mein väterlicher Freund, aus der Setzerei an und berichtete, daß mein Umbruchschema irgendwo in der Mitte der Zeitschrift eine Seite leer gelassen hatte. Davor und dahinter lagen bedruckte Bogen: sie mußte gefüllt werden.
    Nervös an meiner durch und durch feuchten Pfeife ziehend, begann ich auf einem Notizblock ein Rezept für Aalrutte in Sahnesoße zu entwerfen, als der Bildredakteur von der Feuilletonseite des Expressen anrief und mich an die Barsche erinnerte.
    – Habt ihr denn Barsche?
    – ?
    – Ihr braucht Barsche, um mich mit Barschen fotografieren zu können.
    – Daran habe ich nicht gedacht. Aber das ist schnell erledigt. Wir schicken einen Funkwagen nach Stockholm und lassen den Chauffeur ein paar Barsche kaufen. Ich rufe dich dann wieder an.
    Diese Findigkeit verschaffte mir eine Frist.
    DIE ALBANISCHE KULTURDELEGATION IST JETZT FORTGEGANGEN UM IHRE ARTIKEL ZU SCHREIBEN
    Es klopfte an die Tür. Mit seiner unbeschreiblichen karierten Sportmütze schief auf dem Kopf, sanft lächelnd, stand Göran Sonnevi in der Tür. Der stille Poet strahlte Wärme und eine ganz sanfte Kraft aus. Eine Aura von Ruhe umgab ihn. Ich legte ihm instinktiv den Arm um die Schulter, zog ihn an mich und fühlte, wie die Stille um ihn langsam auf mich überging.
    Aus der Tasche zog er ganz sacht ein zusammengefaltetes Papier.
    Es war ein Gedicht, und einzig dieses Gedicht konnte die leere Seite füllen, die bis zum Abend voll sein mußte.
    Mit welch einer blinden Selbstverständlichkeit handeln nicht die Guten! Wie sehr sticht nicht ihre schlafwandlerische Sicherheit ab von unserer Unsicherheit, unserem Mißtrauen! Wie geduldig und langsam wächst nicht das Bild des neuen Menschen, das liebevolle, das allein unsere Bedingungen ändern kann!
    Wann werden wir lernen, wie blindlings wir darauf angewiesen sind, auch mitten im Sturm, daß einige das Gute wollen?
     
    Die Glocken dröhnten, der Schnee fiel von dem bleiernen Himmel, die Taxis hetzten den Restaurants der Stadt entgegen. Um mich herum Unklarheit, Opportunismus, Dummheit zum System erhoben und zu einer treibenden Kraft der Gesellschaft verwandelt. Die Literatur auf einem schmalen, einem lebensgefährlichen Plateau balancierend, immer weiter an den Rand der gewaltigen sterilen Lügenmaschinerien der Bewußtseinsindustrie gedrängt, die Kritik von ihrer eigenen Situation, ihrem verzweifelten Opportunismus gelähmt, der sie zwischen mädchenhafter Gefallsucht und unklarer Sentimentalität hin und her schwanken ließ. Über uns die weißen Strukturen des Todes, die Lügensprache der Ämter, die falschen Kompromisse des Staates, die toten, gleichsam gefrorenen Gesichter derer, die die Macht vertreten, der verkrüppelte, aufgezwungene Infantilismus der von ihnen beherrschten Menschen, die Erotik in eine Angelegenheit für Massageapparate verwandelt, nach dem Konsummodell zu einer Frage der Klitorisreizungen gemacht. Und dasselbe schleichende Gift in meinen eigenen Adern unterwegs.
    Nachdem Sonnevi mich verlassen hatte, ging ich fort, um mich mit drei Barschen fotografieren zu lassen. Die Suche nach einem Taxi, das mich in den abgeschiedenen Vorort bringen sollte, in dem die großen Stockholmer Zeitungen seit Mitte der sechziger Jahre ihren von der Umwelt isolierten Platz haben, führte mich bis hinunter zum Herzen der Stadt.
    Und in dem grauen Winterlicht sah ich die gewaltigen grauen Gebäude sich auftürmen: die ungeheuren Steinmassen des Schlosses, der riesige Block der Kanzlei, der Reichstag auf seiner Insel, und spürte plötzlich zu meiner Überraschung, wie tief ich all das haßte, wie ich den Zentralismus dieses Landes haßte, seine Halbbildung, seine falschen Ansprüche, seinen eiskalten Ämterhochmut, seinen grenzenlosen Zynismus.
    Ich stand an dem Geländer, das zum Wasser hinunterführt, im spritzenden Schneematsch, und haßte Schweden, haßte es bis tief in das siebzehnte Jahrhundert hinein.
    Aber außerhalb des Lichtkreises, dort, wo die Dämmerung rascher fiel und wo jetzt wohl die kleinen Kinder mit ihren Ranzen auf dem Rücken auf schmalen, freigepflügten Wegen heimwärts gingen, vorbei an

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