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Risse in der Mauer: Fünf Romane (German Edition)

Risse in der Mauer: Fünf Romane (German Edition)

Titel: Risse in der Mauer: Fünf Romane (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lars Gustafsson
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der in einer Fernsehdiskussion mit Frisch, Canetti und Johnson zusammensitzen und so tun soll, als habe er etwas Wichtiges zu sagen. Im Scheinwerferlicht in eine Sofaecke gezwängt! Er ist doch nur ein Junge, der eben noch im letzten Holzstoß der vierziger Jahre gespielt und den Mädchen nachspioniert hat, und nun soll er also wirklich Farbe bekennen, zusammen mit Frisch, Canetti und Johnson, er soll für jemand, der monate- oder jahrelang verreist sein kann, die Steuererklärung machen, seine ziemlich chaotischen Geschäfte regeln und sich sogar um sein exzentrisches Privatleben kümmern, soll sich verstellen, sich entschuldigen und erklären.
    Man könnte darüber einen groß aufgemachten Skandalartikel in der Sonntagsausgabe des Expressen schreiben, mit einem Bild von dem armen, kaputten, unbezahlten Stellvertreter, der es endlich wagt, an die Öffentlichkeit zu treten, auszusteigen und auszupacken, und daneben den grausamen Arbeitgeber, starr in seinem Marmor, mit dem polnischen Reichsschwert, dem Apfel und dem Zepter in den Händen, majestätisch und unergründlich auf seinem Sarkophag ruhend.
     
    SIGISMUNDUS REX
     
    Jetzt bin ich doch noch aufgewacht. Schlaftrunken und gähnend schaue ich aus meinem Katafalk hervor, strecke mich, daß die Spinnweben in alle Richtungen auseinanderreißen, mit einem spröden Geräusch, wie wenn man Seide zerreißt. Ich möchte nur wissen, welcher Tag und welches Jahr es sein mag? Aha, Frühjahr 1973. Mein Gott, das ist doch gar nicht der richtige Ort! Als ich zuletzt hellwach war, ist das doch in diesem Turm in Cannobio gewesen, im nördlichsten Italien, nahe der südlichen Grenze der Schweiz. Ein sonderbar turmförmiges, dreistöckiges Haus, ganz oben die Schlafzimmer, im Zwischengeschoß ein Wohnzimmer und eine kleine Bibliothek, in der immerzu Verputz von der Decke auf die Schreibmaschine fiel...
    Frühjahr 1970. Die Schneestürme tobten durch Nordeuropa. Eine matte, milde Frühlingssonne schien auf die Südseite des Alpenkamms. Ich weiß noch, daß ich oft in einem kleinen Café nahe am Lago Maggiore zu Mittag aß. Ein Ofen aus solidem Gußeisen stand mitten im Raum und murmelte auf seinen vier gußeisernen Beinen vor sich hin. Die Angestellten der örtlichen Bank spielten während der ganzen Mittagspause Karten. Es gab eine sehr gute Vorspeise. Sie bestand aus irgendwelchen kleinen marinierten Fischen.
     
    Aber da war auch noch etwas anderes, etwas von der Zeit und daß man nicht verzweifeln darf. Ha! Jetzt schieben wir den Marmordeckel mit dem Alten beiseite. Er ist schwer, aber es geht!
     
    ZYGMUNT SPACRUJE ZNOWU

Fragment aus einem
bürgerlichen Seelenleben
     
    Es ist spät geworden. Wir haben uns sozusagen verschlafen. Eben noch war Vorfrühling 1970, und jetzt soll plötzlich Februar 1973 sein.
    So etwas wirft eine Menge Probleme auf. Ich stehe wie ein ausgesperrter Untermieter vor meiner Erzählung und frage mich, wie ich mich denn um Gottes willen wieder hineinstehlen soll.
    Eine Möglichkeit wäre natürlich, in diesem Turm in Cannobio anzufangen, zu erzählen, wie ich verschwand und wie ich in einem Marmorsarkophag im Krakauer Dom gelandet bin.
    (»Durch das halboffene Fenster drang ein lauer Wind herein. Über den fernsten Alpengipfeln sah ich, wie die Gewitter sich über Nordeuropa zusammenbrauten. Kleine gelbe Hunde bellten in den Dörfern, die am Berghang hochkletterten. Von einer fernen Gendarmeriekaserne hörte ich um die Mittagszeit herum eine Trompetenfanfare. Ein Briefträger kam auf einem Moped an und gab einen Brief ab. Er war in Berlin abgestempelt und kam von Johanna Becker, einer rothaarigen, eigentlich gar nicht besonders häßlichen Philosophiedozentin an der Freien Universität, deren Bekanntschaft ich im Herbst gemacht hatte.
    Es war kein sehr langer Brief, aber er war voller Klammern und Randbemerkungen. Ich las ihn sehr sorgfältig zweimal hintereinander, zerriß ihn dann in winzige Schnipsel, die ich in den Papierkorb warf.
    Ich hatte jetzt wahnsinnigen Hunger. Ich nahm meinen Mantel vom Garderobenhaken, ging in den Sonnenschein hinaus und schloß die Tür sorgfältig hinter mir ab.
    Ihr Brief war ein Verrat, und daher mußte er früher oder später die alten Verhältnisse wiederherstellen. Und die alten Verhältnisse waren unerträglich.«)
    Ihr seht, was für eine langweilige, kokette, egozentrische, unerträglich literarische Prosa das geworden wäre! Pubertät, Pickel, Lebensrätsel, Seelenleben , wie Vetter Jan Fredrik aus Mariefred

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