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Risse in der Mauer: Fünf Romane (German Edition)

Risse in der Mauer: Fünf Romane (German Edition)

Titel: Risse in der Mauer: Fünf Romane (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lars Gustafsson
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sie auch wahrgenommen, das kannst du mir glauben! Sogar alte Stalinisten wachten auf und erklärten, warum ich ein beschissener Typ sei!
    Wie ein Mann...
     
    Ich ließ ihn kurz allein, um an der langen bekleckerten Zinktheke der Kneipe etwas mehr Kirsch zu holen, während er fortfuhr, immer schrecklichere Beleidigungen gegen völlig unbekannte bulgarische Größen auszustoßen, er hörte und sah nichts mehr. Als ich zurückkam, war er gerade dabei angelangt, enthusiastisch zu schildern, wie jemand die Frau eines anderen um drei Uhr nachts vor der Tagung des Schriftstellerverbands angerufen und ihren Mann einen »masturbierenden Schreibtischaffen« genannt habe.
    Ich war mir nicht klar darüber, ob Miroslav das für eine gute Sache hielt oder nicht, und so unterbrach ich ihn, vielleicht etwas abrupt, und sagte:
    – Danke, mein Lieber, ich verstehe vollkommen. Du brauchst es nicht weiter zu erklären.
    – Also, sagte Miroslav nachdenklich, mehr zu sich selbst als zu mir, also hat Mylov mir nie verziehen, daß ich ihm als einziger geholfen habe, daß ich als einziger im Jahre 1964 zu seiner Verteidigung angetreten bin. Er konnte es mir nicht verzeihen, daß ich ihm einen selbstlosen Dienst erwiesen habe.
    – Das ist die selbstverständliche Logik der Ereignisse, sagte ich. Da du der einzige bist, der anständig zu ihm war, wurdest du natürlich zum Symbol für alles, was er verabscheute.
    Es ist ganz klar, daß er sich an dir rächen mußte. Du mußt ihm irgendwas ganz Gemeines antun, damit ihr wieder Freunde werdet. Verkauf seinen letzten kümmerlichen Roman an einen Emigrantenverlag in Paris und schreib dazu in einem Vorwort, wie verfolgt er ist!
    – Das wäre niederträchtig, sagte Miroslav. Außerdem ist er gar nicht verfolgt. Er sitzt seit März im Zentralkomitee. Es gibt keine Akademie, kein Komitee, wo er nicht Mitglied ist.
    – Schreib doch im Vorwort, es sei typisch für die Verhältnisse in Sofia, daß selbst ein solcher Mann verfolgt ist!
     
    Danach haben wir uns erst zu Beginn des Frühlings wiedergesehen. Er rief eines Nachmittags an und lud mich zu sich nach Hause ein. Er wohnte in einem Zimmer mit einer Kochplatte auf einer sehr abgestoßenen Biedermeierkommode über einem schwerhörigen Schreinerehepaar in Hermsdorf, das sein Zimmer mit lustigen Banderolen von Wandervereinen und sonderbaren bordierten Tischdecken dekoriert hatte, schwerhörig genug, um nicht von seinen schrecklichen bulgarischen Festen aufzuwachen, mit Hammelschwanzsuppe, Slibowitz und Pionierliedern aus dem Jahre 1948, als Miroslav ein kleiner Junge mit einem roten Halstuch war.
    Aber jetzt ist er also wieder in Sofia. Ich habe überhaupt nicht bemerkt, wann er abgereist ist.
     
    Intrigen. Die ganze Theorie der Intrigen ist eigentlich eine Form von Optimismus, ein rührender Versuch, sich Mut zu machen. Wenn man entdeckt, daß alles läuft, wie es läuft, und daß alles ist, wie es ist, obwohl es eigentlich gar keine Intrigen gibt, dann wird es wirklich unheimlich, denn dann nähert man sich der Wirklichkeit.
     
    Das ist es, womit ich gerade angefangen habe.
     
    Etwa ein Jahrzehnt lang habe ich in einem mittleren Unternehmen der intellektuellen Branche gearbeitet. Wenn ich an diese Zeit zurückdenke, fällt mir auf, daß ich mich auf keine einzige richtige Intrige besinnen kann, wenn man mit Intrige einen rationalen Plan meint, mit dem man seinen Willen durchsetzen oder jemand anders daran hindern möchte, seinen Willen durchzusetzen.
    Es gab natürlich ein nervöses, halb hysterisches Bewachen von Revieren zwischen den Abteilungen, den Direktoren, den Angestellten.
    Dieser Revierkampf, der sich in all den zehn Jahren, die ich in dem Unternehmen war, im Prinzip über Sommer, Herbst, Winter und Frühjahr hinzog, führte während der ganzen Zeit meiner Anwesenheit eigentlich nie zu irgendwelchen sichtbaren Veränderungen. Die einzelnen Parteien oder Fraktionen waren in Wirkliclikeit absolut gleich stark, oder weiß der Himmel, ob sie nicht im Grunde machtlos waren.
    Immer wieder einmal, im Abstand von drei oder vier Jahren, erschien ein Verwaltungsexperte von außerhalb und schlug die Einstellung eines neuen Direktors vor, der die Aufgabe haben sollte, irgendein bis dahin überhaupt nicht beachtetes Problem zu lösen.
    Der neue Direktor traf ein und wurde vorgestellt. Nach ein paar Monaten hatte die Organisation ihn mit der gleichen unfehlbaren Sicherheit abgestoßen, mit der ein Nierenpatient gewöhnlich eine eingepflanzte

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