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Risse in der Mauer: Fünf Romane (German Edition)

Risse in der Mauer: Fünf Romane (German Edition)

Titel: Risse in der Mauer: Fünf Romane (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lars Gustafsson
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Niere abstößt.
    Der Neue konnte ein äußerst tüchtiger Mann sein, der sich in den Unternehmen vier verschiedener Länder in dieser Branche qualifiziert hatte, oder ein Vollidiot von der Handelshochschule. Das spielte überhaupt keine Rolle, denn das Endergebnis war immer dasselbe. Er brauchte nicht unfähig zu sein, aber er wurde rasch und zielsicher in eine Situation gebracht, in der er unfähig wurde.
    Seine Unfähigkeit zu entdecken, überließ man ausnahmslos dem Unfähigen selbst, und er kündigte im allgemeinen mit ehrlicher Erleichterung.
    Das Prinzip war äußerst einfach.
    Der Neue durfte dieselben Protokollmappen einsehen wie seine Kollegen, bekam dieselben Rundschreiben zugeteilt, aber man weihte ihn nicht in den Tonfall ein . Das genügte. Er verstand nicht, was er las, und wenn er auf Konferenzen sprach, begriff niemand, wovon er eigentlich redete. Wenn er eine Frage beantwortete, war es eine andere Frage als die, die ihm gestellt worden war.
     
    Intrigen spielen eine verschwindend kleine Rolle im öffentlichen wie im privaten Leben. Man braucht sie nicht. Ein Tonfall genügt.
     
    Ich frage mich, ob ich nicht eigentlich so ein neu eingestellter Direktor ohne Tonfall bin. Trotz allem. Eines Tages werde ich meine Unfähigkeit entdecken. Die Clique auf dem Schulhof. Die großen Jungens, die in den Büschen hinter dem Fußballplatz onanieren.
    Geheime Gesellschaften. Die Mysterien des Mithras. Ich kann mir vorstellen, wie der Novize sich fühlt, wenn er unter eigentümlich schrillen Zimbelschlägen und Flötentönen in das dampfende Stierblut getaucht und ins Mysterium aufgenommen wird.
    Die Clique auf dem Schulhof. Ja, die Welt ist ein Schulhof (unter vielem anderen), und einer meiner ersten Eindrücke von den geheimen Gesellschaften innerhalb der Gesellschaft muß natürlich dieser gewesen sein: die Sexualität als geheime Gesellschaft.
    In einem bestimmten Alter, in den vierziger Jahren, zwischen den Holzstößen an der Bomansgatan, ich glaube, es war etwa mit zwölf, kam man dahinter, daß die etwas älteren Jungens irgendein Geheimnis auf Lager hatten, das man selbst nur erahnen konnte. Man wußte natürlich im Prinzip, was es mit dem Bumsen auf sich hatte, aber zugleich wußte man es auch wieder nicht, weil man keine Gelegenheit zu praktischen Experimenten gehabt hatte. Und das machte den ganzen Unterschied aus.
    Wenn man nun mit den älteren Jungens über die Sache redete, glaubte man, daß man über dasselbe redete wie sie, während sie natürlich begriffen, daß man, obwohl man über dasselbe redete, es im Grunde doch nicht tat.
     
    Durch alle Ebenen, alle Grade der Öffentlichkeit in der Gesellschaft, von der tiefsten Intimität bis zur Eishockeyreportage, zieht sich eine Art Vieldeutigkeit. Die Dinge bedeuten das eine, aber zugleich auch etwas anderes. Wissen ist Macht in dem Sinne, daß jeder, der noch mehr Bedeutungen eines Wortes kennt als die übliche, noch mehr Bedeutungen einer Handlung als die übliche, dem anderen überlegen ist.
    Endlich beginnt ihr zu verstehen, worauf ich hinauswill. Die halbe Literatur basiert auf diesem Spiel. Der Romanautor öffnet dem schaudernden bürgerlichen Leser die Tür einen Spaltbreit, läßt ihn mit erhöhtem Puls, keuchendem Atem und hochgezogenen Augenbrauen durchs Schlüsselloch gucken. Einer von den Burschen, die wirklich dabei waren, plaudert aus der Schule. Die Privatsphäre wird für einen Augenblick in die öffentliche Sphäre übertragen. Das Mysterium schaut hervor. Der Romanautor ist ein Verräter. Er verliert wie alle Verräter ein bestimmtes Prestige, aber dafür gewinnt er natürlich sofort ein anderes, das des Schamanen, des Zauberers. Man beherrscht nämlich in der Eigenschaft als Schriftsteller/Verräter ein besonders geheimnisvolles Kunststück, einen magischen Akt: das Private öffentlich und das Öffentliche privat zu machen.
     
    Ich glaube nicht, daß es einen einzigen Schriftsteller gibt (ich rede von richtigen Schriftstellern, nicht von dilettantischen Selbstbetrügern und auch nicht von diesen Schmierenkomödianten, die nur schreiben, um ihres Seelenlebens wegen geliebt zu werden), der nicht irgendwann einmal einen ehrlichen Abscheu vor der sozialen Funktion des gesamten Berufs empfunden hätte. Seine Perversität ist eng verwandt mit der der Gesellschaft selbst.
    Ich meine mit anderen Worten, wenn es das ist, worauf ihr spekuliert, dann seid ihr an den Falschen geraten. Nie und nimmer werde ich euch als eine Art

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